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Themenwochen , Sprache

Pfeile zu Wörtern – Amazonen, Mütter und die Sprache des Patriarchats

16. Oktober 2019 Tina Hartmann

Niemand hat die Klage darüber, dass mit der patriarchalen Sprache keine weibliche Stimme zu erheben ist, schöner gesungen als Ingeborg Bachmann in Malina. „Hier ist keine Frau“ und „es war Mord“ endet der Roman. Seit Anfang des Jahres diskutieren wir endlich wieder die Rolle der Sprache für eine gendergerechte Welt und den potenziellen Beitrag der Literatur. Bereits kurz vor und in der Folge der heftigen Angriffe gegen gendergerechte Sprache zum Weltfrauentag 2019 (vgl. Hartmann 2019) meldeten sich auch Autorinnen und Autoren zu Wort. Bis dahin schien das Thema in der aktuellen gesellschaftlichen und literarischen Debatte bestenfalls eine Nebenrolle zu spielen.

So postuliert Margarethe Stokowski in Die letzten Tage des Patriarchats (2018), dem derzeit vieldiskutierten Buch des deutschsprachigen Feminismus, den radikalen sozialen Wechsel jeder weiblichen Biografie „wenn man schwanger wird“. Mag die Formulierung auch als grammatikalisch korrekt das Lektorat passiert haben, treibt sie doch die ganze Absurdität des generischen Maskulinums auf die Spitze, als permanente Zumutung an Frauen, sich gemeint zu fühlen, wo sie sprachlich nicht repräsentiert werden – selbst, wenn das Maskulinum gar nicht existiert.

Alles Weibliche zum Schweigen gebracht

Wer zurückliest, stößt bei feministischen Texten der 1970er- und 1980er-Jahre auf ungleich höhere Sensibilität für die Macht der Sprache, unsere Welt und weibliche Souveränität zu gestalten bzw. zu verhindern. So die französische Feministin Monique Wittig in ihrem 1969 erschienen Roman Les Guerillères. Bereits der Titel ist ein Kunstwort um auch sprachlich dezidiert weibliche Kämpferinnen, was im Deutschen etwa mit „die Krieginnen“ (anstatt: Kriegerinnen) wiederzugeben wäre, wobei jedoch die in ‚Guerilla‘ mitschwingende Bedeutung ‚Revolte‘ verlorengeht. Wittigs Krieginnen sind Vegetarierinnen und zugleich lustvollere Männerfresserinnen als Kleists Penthesilea. Sie kämpfen mit archaischen und modernsten Waffen in einer zugleich antikisierenden und nie dagewesenen Sprache, die wie sie alles Männliche ausschaltet. Dem Patriarchat wird in gleicher Münze heimgezahlt, was es – wie Christa Wolf in Kassandra zeigt – seit der Begründung der Literatur durch Homer praktiziert: alles Weibliche zum Schweigen zu bringen. Dazu nutzt die Autorin einen der französischen Sprache inhärenten Chauvinismus, mit dem jede Gruppe durch die Anwesenheit eines einzigen Mannes ins Männliche kippt. Les Guerillères hingegen verwendet durchgängig das im Französischen nur für rein weibliche Gruppen vorgesehene Pronomen ‚elles‘ und entwirft eine lesbische Gemeinschaft, die die Binarität aus männlich und weiblich als Ausdruck patriarchaler Zwangsheterosexualität ebenso auflöst wie den Begriff ‚Frau‘, den Wittig als Ausdruck männlicher Definitionsgewalt ablehnte.

Amazonen

Mit der Amazone als Identifikationsfigur benützt Wittig jedoch ein buchstäblich zweischneidiges Schwert. Einerseits schreibt sie eine französische Tradition fort – von der Querelle des femmes und Christine de Pizans und Catherine des Roches edlen Amazonenköniginnen bis zu den Amazonen der französischen Revolution – aber auch ein so genuines wie raffiniertes patriarchales Narrativ weiter. Denn just das athenische Patriarchat integrierte die Amazonen an so prominenten Stellen wie den Friesen des Parthenon-Tempels in seinen Gründungsmythos. Warum inszenieren weder die frühen Narrative wie Homers Illias, die allenfalls subtil abwertenden ethnologischen Beschreibungen Herodots, noch bildliche Darstellungen die Amazonen als Zerrbilder und Bedrohung für die geltende Ordnung?

Tatsächlich steht die Amazone nicht nur für die kämpfende Frau, sie steht für eine Lebensweise, die in jeder Hinsicht der attischen diametral gegenübersteht: Als nomadische gegenüber der sesshaften, mit auf Fleisch und Milch, Schlangen und Fröschen gegenüber Getreide basierter Ernährung, als sich selbst verteidigende statt vom Mann beschützte Frau. Die Amazone war deshalb für das griechische Patriarchat keine Bedrohung, weil sie mit den Errungenschaften der neolithischen Revolution – die Griechen hätten es Kultur genannt – nicht vereinbar ist. Und weil ihre Lebensräume für die historischen Griechinnen stets unerreichbar waren: Bei Homer in mythischer Vergangenheit, bei den hellenistischen Historikern und in mittelalterlichen Weltkarten an den Rändern der Welt.

Ziemlich nackte Frau zu Pferd

Auch Renaissance und Barock huldigten der geharnischten Frauengestalt, die jedoch entweder dem Mann unterliegt und sterbend getauft wird wie Tassos Clorinda, oder gleich für Ehemann und Christentum zu Felde zieht, wie Veremonda in Cavallis Oper. Einzig die Literatur der Aufklärung zeigt die amazonische als androgyn erzogene Frau der Gegenwart, die männliche Bildung und weibliche Ausbildung erhalten hat und den Männern an Tugend und Lebensklugheit ebenbürtig wo nicht überlegen ist. Weshalb die sie bewundernden Männer bei Gellert oder La Roche oft weibliche Züge annehmen. Eine Tendenz, der Rousseau und seine Adepten seit dem Sturm und Drang gründlich den Garaus machten, auch wenn in Goethes Romanen bisweilen noch ein Echo nachklingt. Angesichts für ihre eigenen Rechte kämpfender Frauen wird die Amazone mit der Französischen Revolution endgültig zum Zerrspiegel edler Weiblichkeit, um als dämonisches Weib durch die Romantik Brentanos und Eichendorffs und als beispielsweise von Keller belächelter ‚Blaustrumpf‘ durch ein radikalpatriarchales 19. Jahrhundert zu spuken. Blieb die Amazone auch für die Frauenbewegung Identifikationsfigur, verwandelte sie sich als ziemlich nackte Frau zu Pferd (oder später Motorrad) um die Wende zum 19. Jahrhundert endgültig in ein erotisches Produkt. Selbst die 2017er-Verfilmung von Wonder Woman durch Patty Jenkins vermag diesen übermächtigen Topoi wenig mehr als Ironie entgegenzusetzen. 

Kämpfen und Gebären schließen sich aus

Bereits die antiken Texte spielen zahlreiche Optionen durch, wie das Fortpflanzungsproblem einer weiblichen Gesellschaft zu lösen sei. Die wirkungsmächtigste schuf sicherlich Kleist, indem er die soft-pornografische Vorstellung jungfräulicher Kriegerinnen, die sich zum Rosenfest einen Mann fangen, um ihn nach verrichteter Befruchtung reich beschenkt wieder nach Hause zu schicken, in seiner Penthesilea in die Katastrophe kippen lässt. Doch auch für die Amazonen des 20. Jahrhunderts schließen sich Kämpfen und Gebären aus: So stellt Beatrix Kiddo in Kill Bill 2 sofort das Kämpfen ein, als sie ihre Schwangerschaft bemerkt und nimmt es nur wieder auf, bis sie ihre geraubte Tochter wieder und deren Erzeuger Bill getötet hat. Schon Bachofen entwirft den Wechsel von den Amazonen zur Gynaikokratie der Mütter als zentralen kulturellen Paradigmenwechsel. Das Amazonen-Narrativ verknüpft gelingende Mutterschaft ursächlich mit der Unterordnung der Frau unter die patriarchale Ehe. Und tatsächlich endet bis heute – frei nach Stokowski – das emanzipierte Leben, sobald frau schwanger wird.

Amazonenkampf um Parität?

Keine geringere als Judith Butler hat darauf hingewiesen, wie bedeutsam Wittigs auch sprachlich radikale Erzählung für unsere Erkenntnis der gesellschaftlichen Schieflage ist und Luise F. Puschs 1984 erschienenes Das Deutsche als Männersprache zeigt neben den erreichten Fortschritten nicht nur die grundsätzlichen Dilemmata auf, sondern auch, dass sich an den Argumenten der Kritiker gendergerechter Sprache nichts geändert hat. Noch immer wird in Altherrenmanier erklärt, dass das Deutsche echte Parität nicht hergibt und wir, statt so empfindlich zu sein, uns einfach von der männlichen Form angesprochen fühlen sollen. Was wir daher weiter politisch erkämpfen und kreativ erarbeiten müssen, ist eine nie dagewesene sprachliche Parität, ohne die die gesellschaftliche stets wie die Karotte vor dem Pferdemaul davonschweben wird. Ob die Amazone dabei hilft? Vielleicht, wenn sie einen Amazonen findet, der seiner Kriegin an der Hälfte der Wochentage das Kind von der Brust nimmt, ihr den Steigbügel hält und unter der Türe nachwinkt. Weil es (in den Worten eines alleinerziehenden Freundes) nicht darauf ankommt, ein guter Vater zu sein, sondern der Job „Mutter“ heißt. Dann sind ihre Pfeile zu Wörtern geworden.

Literatur

Amazonen. Geheimnisvolle Kriegerinnen. Historisches Museum der Pfalz Speyer. München 2010.

Ingeborg Bachmann: Malina. München 1978.

Judith Butler: Das Unbehagen der Geschlechter. Frankfurt a. M. 1991.

Johann Jakob Bachofen: Das Mutterrecht Frankfurt a. M. 1975.

Christian Fürchtegott Gellert: Das Leben der schwedischen Gräfin von G... Stuttgart 1968.

Tina Hartmann: Die Wirkungsmacht der Literatur. taz 28.04.2019. https://taz.de/Tina-Hartmann/!a49895/

Heinrich von Kleist: Penthesilea. https://gutenberg.spiegel.de/buch/penthesilea-585/16

Sophie von La Roche: Geschichte des Fräuleins von Sternheim. Stuttgart 1983.

Luise F. Pusch: Das Deutsche als Männersprache. Frankfurt a. M. 1984.

Margarete Stokowski: Die letzten Tage des Patriarchats. Reinbek bei Hamburg 2018.

Monique Wittig: Die Verschwörung der Balkis. München 1980.

Christa Wolf: Kassandra. Darmstadt und Neuwied 1983.

Zitation: Tina Hartmann: Pfeile zu Wörtern – Amazonen, Mütter und die Sprache des Patriarchats, in: blog interdisziplinäre geschlechterforschung, 16.10.2019, www.gender-blog.de/beitrag/sprache-des-patriarchats/, DOI: https://doi.org/10.17185/gender/20191016

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Prof. Dr. Tina Hartmann

Tina Hartmann ist Professorin an der Universität Bayreuth. Die Literaturwissenschaftlerin und Opernlibrettistin arbeitet u.a. zu Literatur des 18. Jahrhunderts, Librettologie, Gender und Diversity, kritische Kanonforschung, Literatur und Architektur, Literatur multilingualer Autor*innen. Publikationen u.a. Goethes Musiktheater (Niemeyer 2004) und Grundlegung einer Librettologie (De Gruyter 2017). Sie ist Herausgeberin der Singspiele und Abhandlungen für die Oßmannstedter C.M. Wieland-Ausgabe.

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