22. Oktober 2024 Statistikteam Gender-Report Sandra Beaufaÿs
Erst seit 1989 sind amtliche Zahlen zu Frauen an Hochschulen öffentlich verfügbar, seit 1998 werden Daten zu den Frauenanteilen an Führungspositionen in der Wissenschaft systematisch erfasst (Löther 2021). Das bedeutet im Umkehrschluss, dass die Präsenz von Frauen an Hochschulen zuvor mühsam vor Ort ausgezählt werden musste, da keine öffentlichen Daten dazu vorlagen. Dass dies heute anders ist, verdanken wir jahrelangen Kämpfen (vgl. bspw. Bock 2015).
Seit 2014 leistet das Statistikportal des Netzwerks Frauen- und Geschlechterforschung NRW einen Beitrag dazu, Daten für die Gleichstellungspraxis an Hochschulen verfügbar zu machen. Auf dem Portal werden geschlechterbezogene Daten ab dem Jahr 2000 bereitgestellt und jährlich auf Basis der amtlichen Statistik aktualisiert. Aber was genau brauchen Gleichstellungsakteur_innen und welche Möglichkeiten bietet das Statistikportal? Zur Verfügbarkeit von Daten und ihrem Nutzen haben wir mit Gleichstellungsakteur_innen an Hochschulen in NRW und mit den Personen hinter dem Statistikportal gesprochen.
Die Bedeutung hochschulstatistischer Daten für die Gleichstellung
Gleichstellung an Hochschulen ist auf Statistiken angewiesen, um anhand von konkreten Daten zu evaluieren, ob gesetzte Gleichstellungsziele und die damit verbundenen Maßnahmen erfolgreich sind. Ein wichtiger Indikator dafür ist der Anstieg des Frauenanteils auf verschiedenen Qualifikationsstufen. Gleichstellungsakteur_innen benötigen deshalb Zahlen, die sie ihren Hochschulleitungen und den einzelnen Fachbereichen vorlegen können.
Britt Dahmen, Leiterin des Referats Chancengerechtigkeit an der Universität zu Köln, macht deutlich, dass differenzierte Statistiken unabdingbar sind, um die Fakultäten darauf hinzuweisen, wenn sie ihre selbst gesetzten Gleichstellungsziele nicht erreichen:
„Es macht unheimlich viel aus, dass wir Zahlen und Entwicklungsverläufe dokumentieren können und Vergleiche herstellen können. Und damit können wir nicht nur auf Hochschulebene argumentieren, sondern bis in die Fächerebene hinein. Das ermöglicht uns, mit der jeweiligen Fakultät ins Gespräch zu kommen und bietet eine Handlungsgrundlage.“
Nora Pohlmann befasst sich im Gleichstellungsbüro der Universität Siegen mit Fragen des Controllings und der Evaluation. Sie stellt fest, dass statistische Erhebungen für die Gleichstellungsarbeit unverzichtbar sind, genießen diese doch „ein hohes Standing in einer männlich dominierten Wissenschaftslandschaft“. Um Gleichstellungsargumente durchzusetzen und zu rechtfertigen, sind statistische Belege also ein wichtiges Mittel. Der moralische Apell reicht hier keineswegs aus.
Hürden auf dem Weg zur Statistik
„Innerhalb der Gleichstellungs- und Hochschulpolitik sind Daten als Mittel der Steuerung zentral“, bestätigt Ulla Hendrix, wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Koordinations- und Forschungsstelle des Netzwerks Frauen- und Geschlechterforschung NRW (KoFo). Sie und ihre Kollegin Jennifer Niegel weisen auf Hürden hin, die es zu überwinden gelte, um an valide Daten für gleichstellungsspezifische Interessen zu kommen.
Die Hochschulstatistiken werden zunächst von den Universitäten und HAWs selbst erstellt und an das Statistische Bundesamt geliefert. Die hochschuleigenen Definitionen der Daten unterscheiden sich jedoch teilweise von den Definitionen des Amts, sodass die Vergleichbarkeit nicht ohne Weiteres gegeben ist. Wie soll bspw. mit den verschiedenen Definitionen von Fächern und Fächergruppen umgegangen werden, die an jeder Hochschule wieder etwas anders zusammengefasst werden?
Nicht für alle Gleichstellungsakteur_innen ist es zudem problemlos möglich, an die eigenen Zahlen zu kommen, denn die Bereitstellung und Aufarbeitung von Statistiken an Hochschulen ist aufwendig, erfordert Personal mit Expertise und damit auch ein Budget. Barbara Hillen, Zentrale Gleichstellungsbeauftragte an der Hochschule Bonn-Rhein-Sieg, sieht die HAWs in dieser Hinsicht gegenüber Universitäten im Nachteil, denn „fehlende Ressourcen in der Verwaltung wirken sich indirekt auch auf die Erhebung aus: Bei uns fällt es z. B. schwer, mit vorhandenem Personal Berufungsverfahren statistisch zu erfassen, obwohl das nötig wäre.“
Was bietet das Statistikportal des Netzwerks Frauen- und Geschlechterforschung NRW?
Das Statistikportal des Netzwerks Frauen- und Geschlechterforschung NRW wurde als Serviceleistung entwickelt, um gezielt Gleichstellungsakteur_innen an nordrheinwestfälischen Hochschulen und darüber hinaus in ihrer Arbeit zu unterstützen. Das Portal entstand im Rahmen des Gender-Reports, der alle drei Jahre geschlechterrelevante hochschulstatistische Daten bezogen auf das Land NRW auflistet, kommentiert und einordnet. Im Statistikportal werden die amtlichen Statistiken so aufbereitet, dass dieselbe Information jährlich bereitsteht.
Das Team der Koordinations- und Forschungsstelle des Netzwerks achtet genau darauf, dass die Datenqualität erhalten und verbessert wird. Ulla Hendrix beschreibt die Schritte:
„Die Daten werden von uns beim Statistischen Landesamt (IT.NRW) angefordert und aufbereitet. Wir haben ein relativ aufwendiges, mehrstufiges Prüfverfahren, bevor wir die Daten in das Portal einpflegen. Sie werden dann zunächst in eine Testumgebung eingestellt und noch einmal geprüft, bevor sie live gehen.“
Wer schnell und sicher aktuelle Daten für die eigene Hochschule zur Verfügung haben und diese auch mit anderen Hochschulen in Beziehung setzen möchte, ist hier also richtig. Über verschiedene Tools können gleichstellungsrelevante Statistiken über alle Qualifizierungsstufen hinweg von den Nutzer_innen mit einigen Klicks selbst erstellt und anschließend gleich als Tabelle oder Grafik heruntergeladen werden. So gibt es die Möglichkeit, ein „Gender-Profil“ der eigenen Hochschule oder Qualifizierungsverläufe vom Studium bis zur Professur sichtbar zu machen, auch die Besetzung von Leitungsgremien – eine jährliche Erhebung der KoFo – kann schnell ermittelt werden.
Berechnungstool für die Besetzung von Professuren
Ein beliebtes Angebot ist ein Berechnungstool für die Besetzung von Professuren. Es wurde entwickelt, als 2014 das Hochschulgesetz um den Passus einer verpflichtenden fächerbezogenen Gleichstellungsquote für Berufungsverfahren ergänzt wurde (§ 37a HG NRW). Die Quote orientiert sich am sogenannten Kaskadenmodell: Der Frauenanteil auf der nächstunteren Qualifizierungsstufe bildet die Zielquote für die Besetzung von Professuren. Mit dem Tool kann in fünf Schritten eine fächerbezogene Gleichstellungsquote berechnet werden, um eine Gleichstellungsquote für Neuberufungen an der eigenen Hochschule zu ermitteln. Diese kann mit dem aktuellen Frauenanteil an Professor_innen in einer selbst zusammengestellten fachlichen Gruppeverglichen werden. Das Tool macht es möglich, die gesetzliche Gleichstellungsquote mithilfe bundesweiter Daten einfach zu berechnen und die eigene Hochschule einzuordnen.
Über das Tool kann generell auch mit wenig Aufwand ein Vergleich mit Bundesdaten auf Professurebene für einzelne Lehr- und Forschungsbereiche angestellt werden, ohne dafür das Statistische Bundesamt bemühen zu müssen.
Datenschutz und Limitationen
Datenschutzanforderungen und die Sensibilität für Datenschutzfragen sind in den letzten Jahren bedeutsamer geworden. Die von IT.NRW ausgegebenen Daten haben daher teilweise an Differenzierungspotenzial verloren. Daten, die Besoldungsgruppen (W1, W2, W3) oder Beschäftigungsverhältnisse abbilden, gelten als sensibel, auch Daten zur Internationalität von Hochschulangehörigen können nur noch in großen Gruppen (bspw. Studierende) verwendet werden. Aus dem gleichen Grund kann auch die Geschlechterkategorie „divers“, die es als Wahlmöglichkeit zur Geschlechtsangabe auch in der amtlichen Statistik seit 2018 gibt, nicht differenziert ausgewertet werden.
Nutzer_innen, die die Daten für ihre jeweils aktuellen Berichte und Anträge benötigen, empfinden zudem als nachteilig, dass die bereitgestellten Zahlen einen Timelag haben: Während im Hochschulalltag häufig eigene aktuelle Daten oder amtliche Vorjahresdaten verwendet werden, müssen die im Statistikportal bereitgestellten amtlichen Daten zunächst aufwendig aufbereitet werden, was zu einer zusätzlichen Zeitverzögerung führt. Die Geschlechterdaten zu Gremien und Hochschulleitungen, die vom Statistikteam der KoFo selbst recherchiert werden, sind hingegen jahresaktuell.
Transparenz und Nutzungsfreundlichkeit
Trotz seiner Grenzen ist das Statistikportal bei seinen Nutzer_innen beliebt. Nora Pohlmann resümiert: „Wir schätzen die Übersichtlichkeit des Portals und die Möglichkeit, schnell Daten aller Hochschulen in NRW abrufen zu können. Kolleg*innen würde ich das Portal aufgrund seiner vielfältigen Möglichkeiten und Übersichtlichkeit definitiv weiterempfehlen.“
Gerade den weniger Daten- und Matheaffinen soll es leicht gemacht werden. Die Mitarbeiterinnen in der Koordinations- und Forschungsstelle sind außerdem ansprechbar, wenn Gleichstellungsakteur_innen konkrete Fragen zur Hochschulstatistik haben. Sie erklären auch gerne, wie die unterschiedlichen Tools des Statistikportals genau nutzbar sind und verweisen gleichzeitig auf das Glossar, in dem alle Begriffe, die im Statistikportal verwendet werden, definiert sind.
Zudem gibt es die Sicherheit, dass für die Qualität und Vergleichbarkeit der Daten gesorgt wurde und deren Herkunft deutlich ausgewiesen ist, womit laut Ulla Hendrix eines der wichtigsten Prinzipien von Statistik erfüllt ist: „Was wir bieten möchten, ist vor allem größtmögliche Transparenz.“
Das Statistikportal des Netzwerks Frauen- und Geschlechterforschung bietet die Möglichkeit, geschlechterdifferenzierte Hochschulstatistiken individuell zusammenzustellen. Dieser Service ist online frei zugänglich und kostenlos verfügbar unter https://www.gender-statistikportal-hochschulen.nrw.de/start
Literatur
Bock, Ulla (2015). Pionierarbeit: Die ersten Professorinnen für Frauen- und Geschlechterforschung an deutschsprachigen Hochschulen 1984–2014. Frankfurt/Main: Campus.
Löther, Andrea (2021). 30 Jahre Geschlechtergleichstellung in der Wissenschaft - eine Bilanz. In Chancengleichheit in Wissenschaft und Forschung: 25. Fortschreibung des Datenmaterials (2019/2020) zu Frauen in Hochschulen und außerhochschulischen Forschungseinrichtungen (S. 118–147). Bonn: Gemeinsame Wissenschaftskonferenz (GWK). https://nbn-resolving.org/urn:nbn:de:0168-ssoar-75443-7
Zitation: Statistikteam Gender-Report, Sandra Beaufaÿs: Statistiken für die Gleichstellung an Hochschulen in Nordrhein-Westfalen, in: blog interdisziplinäre geschlechterforschung, 22.10.2024, www.gender-blog.de/beitrag/statistik-gleichstellung-nrw/, DOI: https://doi.org/10.17185/gender/20241022
Beitrag (ohne Headergrafik) lizensiert unter einer Creative
Commons Namensnennung 4.0 International Lizenz