29. April 2025 Ulrike Krause
In einem Urteil entschied der britische Supreme Court jüngst, dass die Definitionen von ‚Frau‘ und ‚Geschlecht‘ im Equality Act 2010 ausschließlich das biologische Geschlecht betreffen. Mit dieser Entscheidung droht eine massive Beeinträchtigung der Anerkennung von trans* Frauen sowie ihrer politischen Teilhabe und Repräsentation. In meinem Beitrag analysiere ich die dem Urteil zugrunde liegenden, vermeintlich natürlichen und feststehenden binären Geschlechtervorstellungen.
Hintergrund zum Gerichtsverfahren
Der britische Supreme Court hat im Fall For Women Scotland Ltd v The Scottish Ministers am 16. April 2025 ein Urteil gefällt (UK Supreme Court 2025), das die rechtliche Auslegung des Verständnisses von ‚Frau‘ und ‚Geschlecht‘ im Equality Act 2010 (Gleichstellungsgesetz; UK Parliament 2010) klärt.
Der Fall ging aus dem Gender Representation on Public Boards (Scotland) Act 2018 hervor, der den Anteil von Frauen in öffentlichen Gremien Schottlands erhöhen sollte (Scottish Parliament 2018). Das Gesetz definierte ‚Frau‘ zunächst umfassend und schloss Personen ein, die sich als Frauen identifizieren, leben und eine Geschlechtsangleichung durchlaufen haben oder planen. Im Detail bezog die Definition von ‚Frau‘ unter Berufung auf den Equality Act Personen ein,
„die das geschützte Merkmal der Geschlechtsangleichung (im Sinne von Abschnitt 7 des Gleichstellungsgesetzes von 2010) aufweist, wenn – und nur wenn – die Person als Frau lebt und sich einem Verfahren (oder einem Teil eines Verfahrens) mit dem Ziel, weiblich zu werden, unterziehen will, unterzieht oder unterzogen hat“ (Scottish Parliament 2024; Übersetzung U. K.).
For Women Scotland (FWS) legte Widerspruch ein mit der Begründung, dass sich die Begriffe ‚Frau‘ und ‚Geschlecht‘ im Equality Act ausschließlich auf das biologische Geschlecht und daher nicht auf die eigene Identifikation oder das rechtlich geänderte und bestätigte Geschlecht bezögen. Zudem argumentierte FWS, dass das schottische Parlament hier keine abweichenden Regelungen treffen könne, da die Gesetzgebungskompetenz für Gleichstellungsfragen als reserved matter beim britischen Parlament läge (vgl. UK Supreme Court 2025: Abs. 15-17). Letzteres bestätigte das schottische Court of Session 2022 (Scottish Government 2024) und das schottische Parlament änderte 2024 den Representation on Public Boards (Scotland) Act durch das Entfernen der Definition von ‚Frau‘ (Scottish Parliament 2024).
Im November 2024 fanden die Anhörungen im britischen Supreme Court statt. Einstimmig entschieden die Richter*innen im Urteil, dass die Begriffe ‚Frau‘ und ‚Geschlecht‘ im Equality Act das biologische Geschlecht meinen. Damit werden Personen, die bei Geburt als weiblich eingetragen wurden, rechtlich als Frauen anerkannt – andere Personen nicht, unabhängig davon, ob sie ein Gender Recognition Certificate (GRC), also eine Bescheinigung über die rechtliche Anerkennung des Geschlechts besitzen.
Frau, aber nicht ‚richtig‘ Frau?
Diese Begründung bedarf kritischer Reflexion. Zwar betont das Gericht ausdrücklich, dass bestehende Schutzrechte für trans* Personen nicht infrage gestellt werden. Diskriminierung aufgrund von Geschlecht, Geschlechtsidentität oder etwa einer Geschlechtsangleichung bleibt weiterhin durch den Equality Act verboten – ungeachtet, ob eine Person im Besitz eines GRC ist oder nicht. Dennoch bedient sich das Gericht einer engen und essenzialistischen Auffassung von Geschlecht. Damit wird implizit eine normative Grenzziehung vorgenommen, wer als ‚richtige Frau‘ gilt und wer nicht – mit Auswirkungen auf den Schutz und die Teilhabe von trans* Frauen in bestimmten politischen und gesellschaftlichen Bereichen wie etwa Gremien oder Schutzräumen.
Aus feministischer Perspektive ist das Paradox bemerkenswert, dass ein Gesetzestext, der „Gender“ im Titel trägt (Gender Representation on Public Boards Act), sich auf rein biologische und vermeintlich natürliche Merkmale beziehen muss. Eine zentrale Errungenschaft von Wissenschaftler*innen und Aktivist*innen der zweiten Welle des Feminismus ist die Unterscheidung zwischen sex und gender, also dem biologischen und dem sozialen Geschlecht. Wenngleich eine strikte Trennung zwischen sex und gender in der Forschung kaum noch als haltbar gilt und vielmehr Zusammenhänge betont werden (West/Zimmerman 1987; Hawkesworth 2013; Villa 2019), bleibt diese Differenz mit Blick auf das Gerichtsurteil höchst bedeutsam. Denn das Gericht vollzieht eine Rückführung von Geschlecht auf das Biologische. Diese problematische Reduktion vernachlässigt die sozialen und gelebten Dimensionen von Geschlechtsidentitäten.
Aus queerer Perspektive wiegt dieser Punkt schwer (Lorber 1996; Hines 2020; Steinsberger/Ludwig 2023; Edelmann 2020). Die Entscheidung der Richter*innen, vermeintlich natürliche Merkmale als Maßstab zur Definition der ‚Frau‘ zu nehmen, reproduziert eine heteronormative Sichtweise, die Geschlecht als festes, biologisch determiniertes Konstrukt erfasst. Diese Perspektive ignoriert die Komplexität, Nichtbinärität und Fluidität von Geschlecht und marginalisiert diejenigen, deren Selbstidentifikation nicht mit dem bei Geburt zugewiesenen Geschlecht übereinstimmt. Das Urteil verstärkt somit essenzialistische und naturalistische Vorstellungen davon, wer als ‚Frau‘ gilt – mit weitreichenden Folgen für trans*, nichtbinäre und intergeschlechtliche Personen. Dabei verkennt das Urteil, dass trans* Frauen Frauen sind – auch wenn ihre Identität bereits rechtlich durch ein GRC anerkannt wurde.
Dass die Gerichtsverfahren durch den Widerspruch von FWS initiiert wurde, ist relevant. Laut Selbstbeschreibung tritt FWS nicht nur für Schutz und Stärkung von Frauen und Kindern, sondern auch für eine binäre und biologisch determinierte Geschlechterordnung ein: „We believe that there are only two sexes, that a person’s sex is not a choice, nor can it be changed. Women are entitled to dignity, safety and fairness”, heißt es auf ihrer Website (For Women Scotland 2025). Damit illustriert der Fall, wie trans*feindliche Feminismen und feministische Organisationen unter dem Deckmantel von Schutz und Repräsentation eine restriktive, exkludierende Normativität (re)produzieren (s. a. Bassi/LaFleur 2022; Pearce et al. 2020). Der Rekurs auf biologische Zweigeschlechtlichkeit dient als Strategie, um cis-heteronormative Vorstellungen als Grundlage für die Anerkennung ‚wahrer Weiblichkeit‘ durchzusetzen.
LGBTQ+ Organisationen und Interessenvertretungen von trans* Personen wie Stonewall (2025), Gendered Intelligence (2025) und TransActual (2025) sowie zivilgesellschaftliche und Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International (2025), die Scottish Human Rights Commission (2025) und SEE Change Happen (2025) äußern harte Kritik. Sie warnen vor einer Untergrabung der Rechte sowie der gesellschaftlichen Anerkennung von trans* Menschen und einer Schwächung bestehender Schutzmechanismen.
Gerade mit Blick auf politische Teilhabe ist das Urteil verheerend. Wir wissen aus der Forschung, dass Repräsentation und Sichtbarkeit von trans* wie auch queeren Personen global wie national historisch kaum gegeben waren und noch heute unzureichend sind (z. B. Magni/Reynolds 2021; Schotel/Mügge 2024, Krause 2024). Doch Repräsentation und Sichtbarkeit sind fundamentale Voraussetzungen für Gleichstellung und Teilhabe. Wenn nun rechtliche Auslegungen von Definitionen die Gruppen ausschließen, wird nicht nur ihre politische Repräsentanz und Teilhabe untergraben und zunehmend erschwert, sondern auch ihre geschlechtliche Identität und gesellschaftliche Anerkennung delegitimiert. Sie werden unsichtbar gemacht und entrechtet.
Fazit
Dieses Urteil wirft vielfältige Fragen zur juristischen Auslegung von ‚Geschlecht‘ und ‚Frau‘ in Großbritannien auf und zu den Auswirkungen, insbesondere auf die Repräsentation im öffentlichen Dienst sowie den Zugang zu geschlechtsspezifischen Angeboten und Schutzräumen. Es birgt die Gefahr, Antigenderismus sowie trans*- und queerfeindliche Politiken und Bewegungen (Fetz 2024) nicht nur in Großbritannien, sondern auch in anderen Ländern weiter zu befeuern. In Zeiten, in denen rechtspopulistische und rechtsextreme Parteien an Einfluss gewinnen und geschlechtliche Vielfalt zunehmend als Feindbild für politische Mobilisierung instrumentalisieren, ist das besonders alarmierend.
Literatur
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Bassi, Serena und LaFleur, Greta (2022), 'Introduction: TERFs, Gender-Critical Movements, and Postfascist Feminisms', TSQ: Transgender Studies Quarterly, 9 (3), 311-333. https://doi.org/10.1215/23289252-9836008
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Fetz, Simon (2024), 'Antifeminismus und Antigenderismus', in Christine M. Klapeer, et al. (Hrsg.), Politik und Geschlecht. Perspektiven der politikwissenschaftlichen Geschlechterforschung (Opladen, Berlin, Toronto: Verlag Barbara Budrich), 181-192. https://doi.org/10.2307/jj.16063713.17
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Krause, Ulrike (2024), 'Invisibilization of the Unwanted Others? Feminist, Queer, and Postcolonial Perspectives on the 1951 Refugee Convention’s Drafting', Women's Studies International Forum, 107, 102979. https://doi.org/10.1016/j.wsif.2024.102979
Lorber, Judith (1996), 'Beyond the Binaries: Depolarizing the Categories of Sex, Sexuality, and Gender', Sociological Inquiry, 66 (2), 143-160. https://doi.org/10.1111/j.1475-682X.1996.tb00214.x
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Zitation: Ulrike Krause: Trans* Frauen sind Frauen! Zur Definition von ‚Frau‘ im britischen Supreme Court Urteil, in: blog interdisziplinäre geschlechterforschung, 29.04.2025, www.gender-blog.de/beitrag/trans-supreme-court-urteil/, DOI: https://doi.org/10.17185/gender/20250429
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Kommentare
Katharina Leschke | 30.04.2025
Vielen Dank für die Zusammenfassung; die werde ich bestimmt noch häufiger für meine Arbeit nutzen.