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Themenwochen , Utopien

Männlichkeit in Werbespots neu gedacht?

03. Juni 2019 Anna Vogel

Der Soziologe und Philosoph Karl Mannheim stellte fest, dass Utopien Denkräume sind, die noch gar nicht gedacht wurden und teilweise mit unserem Wissen nicht denkbar sind. Mit Utopien kann man gegebene Strukturen versuchen zu verändern oder aufzulösen, aber eben auch nur die, die für sich selbst vorstellbar und sichtbar sind (Mannheim 1929). Im 21. Jahrhundert leben wir in festen Strukturen, die wir tagtäglich unreflektiert reproduzieren. Dies gilt auch für die binäre Betrachtung, Existenz und Lebensweise der Geschlechter. Das Gedankenspiel, sich eine neue Gesellschaft oder auch eine neue Welt zu erdenken, mündet häufig in einer Optimierung der gegebenen Verhältnisse.

Dies kann am Beispiel von Werbespots verdeutlicht werden: Werbung kann mit den binären Geschlechterrollen (männlich – weiblich) spielen und sie dabei festklopfen. Produkte können erfolgreich beworben werden, weil sie eben von Frauen ODER Männern benutzt werden und diese sich bei der auf sie gemünzten Werbung angesprochen fühlen.

Rasiererwerbung in einer utopischen Welt

Eine Werbung für Rasierer beispielsweise funktioniert für zwei Geschlechter. Der Rasierer-Markt unterscheidet nämlich zwischen Männer- und Frauenrasierern. Es gibt rosafarbene Rasierer mit zusätzlichem Gelkissen für Frauen und blaue Rasierer mit besonders scharfen Klingen für Männer. Warum das so ist, wird selten hinterfragt. Bei einer kurzen und genaueren Betrachtung der Leistung des Produktes selbst erscheint die Aufteilung in „männliche Rasierer“ und „weibliche Rasierer“ vollkommen hinfällig. Sie dienen beide lediglich der Entfernung der Körperbehaarung, die mit Sicherheit bei Frauen und Männern teilweise stärker oder/und weniger stark ausgeprägt sein kann.

Wie sähen Rasierer und Rasiererwerbung nun in einer utopischen Gesellschaft aus, in der es zwar Geschlechterdifferenz gäbe, diese jedoch in mehrfacher Form und nicht binär männlich und weiblich existiert? Vermutlich wäre beispielweise eine geschlechtsfixierte Farbwahl von blau/männlich und rosa/weiblich völlig gegenstandslos. Auch die unterschiedliche Leistung der Klingen wäre zunächst unbegründet. Wäre Rasieren überhaupt eine Notwendigkeit?

Ein neues Image für die Männlichkeit

Der neue Werbespot einer bekannten Rasierer-Firma griff Anfang des Jahres 2019 zwar diese Fragestellung nicht auf, löste jedoch eine hitzige Diskussion über Männerbilder aus. Insbesondere die Art von Männlichkeit, die in den bisherigen Werbespots als patriarchal und „toxisch“ wahrgenommen wurde, stand dabei im Zentrum. Die Firma möchte mit diesem Image verständlicherweise aufräumen und hinterfragt nun selbstkritisch die eigene Botschaft.

In ihrem neuen Werbespot sind zunächst Szenen zu sehen, die vermeintlich veraltete Sichtweisen und Wahrnehmungen von Männlichkeit in ihrer Alltagspraxis zeigen. Schallendes Gelächter von einer Gruppe Männer über einen inszenierten Theateraufritt, bei dem der Mann, der als Hausfrau verkleideten Frau an den Hintern zu greifen versucht und dabei fragt: „Who's the daddy?“. Der Junge, der von anderen Jungen seines Alters verfolgt und als „Weichei“ beschimpft wird. Zwei Jungen, die sich prügeln und deren Väter, die danebenstehen und es mit deren Geschlechtszugehörigkeit entschuldigen („boys will be boys“).

Auch die Szene aus einem Geschäftsmeeting, in dem der männliche Kollege seine weibliche Kollegin unterbricht und für sie weiterspricht („what I actually think what she is trying to say“), zeigt, wie diese Form von hierarchisierter Männlichkeit und auch symbolischer Gewalt (vgl. Scholz 2015) bisher als Leitfaden für „männliches“ Verhalten diente und auch als „männlich“ identifiziert wurde. Doch im Laufe des Werbespots soll verdeutlicht werden, dass diese repräsentierte Männlichkeit nicht mehr zu entschuldigen oder wegzulachen ist, sondern als veraltet und nicht mehr akzeptabel gilt.

Was ist „das Beste im Mann“?

Die Firma korrigiert also die Botschaft hinter den alten Werbesports und legt dar, dass sie weiterhin an das Beste im Mann glaubt („We believe in the best in men.“). Doch was genau ist das Beste im Mann? Die neue Botschaft lautet: Männer sollen andere Männer, die ihr Geschlecht als Machtposition missbrauchen, zur Rechenschaft ziehen („Men need to hold other men accountable“).

Männer, die mit Frauen herablassend flirten und sie als „Süße“ bezeichnen. Männer, die Frauen hinterher pfeifen und sie damit auf ihre Körperlichkeit reduzieren. Eine Jungengruppe, die einem einzelnen Jungen hinterherrennt, um ihn zu verprügeln. Ein Junge, der sich von seiner Mutter trösten lässt, weil er als „Weichei“ beschimpft wird. Dies sind alles Alltagsszenarien, in denen „die neuen, besseren“ Männer eingreifen sollen, um ihre Geschlechtsgenossen zur Rechenschaft zu ziehen. Sie sollen bekräftigen, dass dieses Verhalten, welches von Machtmissbrauch, Gewalt und Erniedrigung geprägt ist, nicht mehr akzeptabel ist. Die Männer, die einschreiten, sollen daran erinnern, das Richtige zu sagen und richtig zu agieren („Just say the right thing, to act the right way“).

Der Spot veranschaulicht dies, indem die vorher gezeigten Szenen erneut eingeblendet werden, nun aber einen anderen Verlauf nehmen. Der Vater, der zwischen die sich prügelnden Jungs schreitet und verdeutlicht, dass man(n) sich gegenseitig nicht so behandelt („this is not how we treat each other“). Der Vater, der dem gemobbten Jungen zur Seite steht und sich versichert, ob alles in Ordnung mit ihm ist. Der junge Mann, der einer Frau hinterherpfeift und sie ansprechen möchte, der daraufhin von einem anderen Mann ermahnt wird („this is not cool“).

Entlarvung einer „toxischen Männlichkeit“

Die bekannte Rasierer-Firma stellt mit ihrer neuen Werbung ein bisher gültiges Männlichkeitsbild in Frage und entlarvt sie als eine längst vergangene habituelle Verkörperung von „Mann sein“. In den gezeigten Szenen geht es um ein Machtgefälle zwischen den Geschlechtern aber auch im „Mannsein“ selbst, welches aufgrund der Geschlechtszugehörigkeit als natürlich gegeben angenommen wird. Männer seien das stärkere Geschlecht und müssen und dürfen eben dies auch in Alltagspraktiken repräsentieren. Die Firma selbst benutzt hierfür den Begriff der „toxischen Männlichkeit“. In der Literatur wird dieser u. a. von Kupers (2005) in ihren Studien zu normativen Männlichkeitspraxen in Gefängnissen eingeführt.

Unter toxischer Männlichkeit wird der regressive männliche Habitus verstanden, der sich über das Machtverhältnis zu Frauen definiert und sich durch homophobe Einstellungen und Gewalttätigkeit auszeichnet. Genau dieses Männlichkeitsbild wurde einst von der Rasierer-Firma als Instrument für ihre Werbung genutzt. Jetzt versucht sie, damit aufzuräumen und ein neues, leitendes Männlichkeitsbild zu erschaffen. Mit dem neuen Werbespot soll verdeutlicht werden, dass es nicht lustig ist, wenn eine Frau zu einem sexuellen Objekt gemacht wird. Es darf nicht mehr weggesehen werden, wenn andere Jungen oder Männer, die nicht einem normativen Männlichkeitsbild entsprechen, diskriminiert werden. Die gängigen Entschuldigungen („boys will be boys“) können nicht mehr toleriert werden. Doch wie sieht die „neue“ Männlichkeit aus, die die aktuellen Werbespots zu etablieren versuchen?

Neue fürsorgliche Männlichkeit

Was gezeigt wird, ist ein Männlichkeitsbild, in dem Männer andere Männer zur Rechenschaft ziehen, wenn diese sich in heterosozialen aber auch in homosozialen Interaktionen aufgrund ihrer Geschlechtszugehörigkeit hierarchisch verhalten. Gemeint ist damit eine Art Fürsorge im Umgang mit anderen Männern, die sich nicht mehr nur über „Spiele des Wettbewerbs“ (Bourdieu 1997: 203) ausdrücken, sondern über friedliche Vergemeinschaftung. Möglicherweise spiegelt sich in der „neuen“ Männlichkeit, die hier aufgegriffen wird, sogar eine Care-Komponente? Aber wie sieht der neue ‚Leitfaden‘ für männliches Verhalten gegenüber Frauen aus? Die Szenen, die zeigen sollen, dass Männer sich gegenseitig zur Rechenschaft ziehen, wenn es um den respektvollen und gleichwertigen Umgang mit dem weiblichen Geschlecht geht, wirken, abgesehen von der theatralischen musikalischen Untermalung doch nur latent thematisiert und geben kein neues Leitbild preis. Darüber hinaus hat keine Frau in diesem Werbespot eine Stimme.

Bei dem Versuch, sich in ihrem Werbespot gegen Alltagssexismus zu stellen und mit dem starren Bild von der einen einzig gültigen Männlichkeit aufzuräumen und neue Denkräume zu schaffen, verbleibt die werbetreibende Firma weiterhin in einer binären Betrachtung der Geschlechter. Auch die fürsorgliche Seite von Männlichkeit bezieht sich in den Szenen nur auf homosoziale Praktiken. Es wird damit ein gewisser Wille gezeigt und auch der Versuch unternommen, einen gleichberechtigten Umgang auf Augenhöhe mit dem weiblichen Geschlecht anzustreben. Aber eben dieser Umgang kann offenbar nicht gedacht und kreiert werden, um ihn dann konkret in Form von Alltagspraktiken abzubilden.

Literatur

Bourdieu, Pierre (1997). Männliche Herrschaft. In Irene Dölling & Beate Krais (Hrsg.), Ein alltägliches Spiel. Geschlechterkonstruktion in der sozialen Praxis (S. 153–217). Frankfurt am Main: Suhrkamp.

Kupers, Terry A. (2005). Toxic Masculinity as a Barrier to Mental Health Treatment in Prison. JOURNAL OF CLINICAL PSYCHOLOGY, 61(6), 713.

Mannheim, Karl (1929). Ideologie und Utopie. Bonn: Cohen.

Scholz, Sylka (2015). Männlichkeitssoziologie. Studien aus den sozialen Feldern Arbeit, Politik und Militär im vereinten Deutschland. 2. korrigierte Auflage. Münster: Westfälisches Dampfboot.

Zitation: Anna Vogel: Männlichkeit in Werbespots neu gedacht?, in: blog interdisziplinäre geschlechterforschung, 03.06.2019, www.gender-blog.de/beitrag/utopien-maennlichkeit-in-werbespots/, DOI: https://doi.org/10.17185/gender/20190503

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Anna Vogel

Anna Vogel studiert im Master Soziologie an der Universität Bielefeld. Im Rahmen des Seminars "Geschlecht. Arbeit. Herrschaft" von Prof.in Diana Lengersdorf hat sie sich mit anderen Kommiliton_innen im Wintersemester 2018/2019 intensiv mit der Frage von Utopie aus arbeitssoziologischer, geschlechtertheoretischer und herrschaftskritischer Perspektive auseinandergesetzt.

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