15. August 2023 Aline Oloff Regine Othmer Sandra Beaufaÿs
Die feministischen studien, Zeitschrift für interdisziplinäre Frauen- und Geschlechterforschung, sind eine Institution in der deutschsprachigen Fach-Community. Entstanden in den frühen 1980er-Jahren, können anhand ihrer Entwicklung die Veränderungen im Diskurs über die letzten Jahrzehnte nachvollzogen werden. Sandra Beaufaÿs sprach mit zwei der aktuellen Herausgeberinnen, Regine Othmer (Jg. 1946) und Aline Oloff (Jg. 1975).
Die feministischen studien tragen die Bewegung im Namen. Wie seid ihr selbst zu eurer feministischen Haltung und Praxis gekommen?
Regine Othmer: Wie ich zur Frauenbewegung kam, ist ein relativ klassischer Weg. Nämlich eigentlich über die Tatsache, dass ich als Studentin früh Mutter wurde und dann das Problem mit der „Kinderversorgung“ hatte. Sodass ich in die Kinderladenbewegung gegangen bin, bzw. selbst mit anderen zusammen einen Kinderladen aufgebaut habe. Und da gab es Kontakte zu Frauengruppen, die im Zuge der 68er-Bewegung entstanden sind. Auch in Marburg existierte ein Weiberrat, ähnlich wie in Frankfurt. Es wird oft vergessen, dass die neue Frauenbewegung und die Kinderladenbewegung quasi Hand in Hand gingen: Es waren junge Mütter aus dem Aktionsrat zur Befreiung der Frauen in Berlin, die die ersten Kinderläden gegründet haben. Und das meine ich mit „klassisch“. Dieser Teil der Entstehungsgeschichte der neuen Frauenbewegung wird aber oft gern vernachlässigt.
Aline Oloff: Bei mir war es § 218. Das war meine feministische Politisierung. Ich bin in Ostberlin aufgewachsen und habe das Ende der DDR ziemlich bewusst erlebt. Als dann in den frühen Neunzigern keine neue gemeinsame Verfassung ausgehandelt wurde, sondern dieser Beitrittsvertrag und klar wurde, was das für Frauenrechte bedeutet, insbesondere in Bezug auf reproduktive Rechte, habe ich meine ersten Frauendemos erlebt. Dazu muss ich sagen, dass ich in einem reinen Frauenumfeld aufgewachsen bin. Um mich rum gab’s lauter alleinerziehende Mütter, auch meine Mutter war alleinerziehend. Ich bin ziemlich fern vom System, in einem eher unter dem Dach der evangelischen Kirche sich beheimatenden Milieu aufgewachsen, wo eine unausgesprochen feministische Grundstimmung gelebt wurde.
Der Name „feministische studien“ war schon bei der Gründung der Zeitschrift ein „Wagnis“, so Ute Gerhard im Jubiläumsheft „Woher wir kommen“. Hat sich das verändert? Und wie lässt sich der Begriff heute füllen?
AO: Naja, wenn man Gender Studies studiert, ist das schon ein wichtiger Referenzpunkt. Es ist mir erst später klar geworden, wie heikel das in den anderen Fächern ist, dieser affirmative Bezug auf Feminismus. Und wenn du fragst, was das denn heißt, dieses „feministisch“, dann geht es für mich um eine kritische Haltung gegenüber der Zuweisung von Menschen in Kategorien und der Hierarchie, die daran geknüpft wird. Eine Kritik ganz basal an der Hierarchie im Geschlechterverhältnis, aber auch der binären und heteronormativen Verfasstheit des Geschlechterverhältnisses. Es ist eine grundlegend kritische Haltung gegenüber der Welt, wie sie uns präsentiert wird und dessen, was man als das vermeintlich Gegebene, Selbstverständliche so hinnehmen soll. Und auch so eine gewisse Empörung oder Wut, das gehört für mich dazu.
RO: Feminismus ist ja verbunden mit der Frauenbewegung, Feminismus ist Frauenbewegung oder entspringt aus ihr und umgekehrt. Aber es ist ja doch die Frage, geht jetzt der Feminismus auf einmal ohne Frauen oder nur mit Frauen mit Sternchen oder Unterstrich? Die Frauenbewegung ist angetreten, um auch die materiellen und die rechtlichen Voraussetzungen für Frauen zu verbessern bzw. Benachteiligungen abzuschaffen. Obwohl es seit den Fünfzigerjahren entsprechende Gesetze gibt, haben wir immer noch Lohnungleichheit, es gibt Altersarmut von Frauen etc. Inzwischen ist von sozialer Ungleichheit aber gar nicht mehr so viel die Rede in den feministischen studien, und meiner Meinung nach hat das sowohl mit der Intersektionalitätsdebatte zu tun als auch damit, dass oft hauptsächlich Identitätsprobleme verhandelt werden.
Würdet ihr sagen, dass es sich bei diesen unterschiedlichen Sichtweisen innerhalb der Redaktion um eine Generationenfrage handelt?
AO: Ich empfinde das gar nicht so sehr als Generationenfrage. Was uns als Redaktion viel mehr beschäftigt, ist: Wer liest uns eigentlich noch und wie werden wir wahrgenommen? Es wird ja viel mehr digital gelesen, was zur Folge hat, dass die Hefte gar nicht mehr als Hefte – wie wir sie eigentlich konzipieren – wahrgenommen werden, sondern nur noch einzelne Artikel online gesucht werden. Es ist also ein ganz anderes Rezipieren. Auch bei den Einreichungen macht sich ein Generationenthema bemerkbar. Leistungskriterien, Karriere machen, Publikationsdruck – wir merken deutlich, dass wir als anerkannte und indizierte Peer-Review-Zeitschrift den Autor*innen dazu dienen, das eigene Kapital zu mehren. Es geht also nicht mehr unbedingt um die Veröffentlichung eines Textes in den feministischen studien, weil man sich an einer bestimmten Diskussion beteiligen will. Es geht nicht mehr darum, ein bestimmtes Publikum zu adressieren, das dann möglicherweise auch entsprechend darauf reagiert.
Aha, da hat sich etwas verändert. Was waren denn die größten Herausforderungen für die Zeitschrift?
RO: Mehrfache Verlagswechsel, weil sie jedes Mal einen Einbruch bedeuteten. Beim ersten Mal hat uns der Verlag schon nach knapp vier Jahren gekündigt mit der Begründung, die Zeitschrift sei nicht lukrativ genug. Dann hingen wir eine Zeit in der Luft, die Zeitschrift konnte ein Jahr lang nicht erscheinen. Es war schwierig, bis wir einen neuen Verlag mit halbwegs brauchbaren Bedingungen fanden. Ein späterer Verlag wollte sich nicht darauf einlassen, einen Online-Auftritt zu machen. Den haben wir dann selbst organisiert und finanziert. Das nächste war dann der Verkauf an einen sehr großen Verlag, bei dem nicht gefragt wurde, ob wir dort überhaupt hinwollten. Dort ist es manchmal wie bei der Telekom: Die Ansprechpartner wechseln dauernd und man weiß nicht, wer für was zuständig ist.
AO: Ich habe das Gefühl, wir stehen jetzt gerade vor großen Herausforderungen. Das hat etwas zu tun mit der Entscheidung für Open Access und zunehmend ins Digitale zu gehen und mit der Frage, funktionieren Print-Hefte noch in der Form, in der wir sie uns überlegen? Wohin entwickelt sich die Zeitschrift in den nächsten Jahren? Diese Arbeit, die wir uns machen, ein Heft zu machen, das in sich stimmig ist, wo die Rubriken zueinander gehören und es ein Cover gibt, das zum Inhalt passt – hat das noch eine Zukunft? Ganz konkret steht auch die Frage der zukünftigen Redaktionsarbeit im Raum. Die Pandemie hat da auch die Belastung von uns allen nochmal erhöht. Die Frage ist auch, diese Art von Arbeit, wie wir sie jetzt immer noch machen, wie lange das noch geht.
Wie sieht die Redaktionsarbeit konkret aus? Was heißt bei euch Redaktion?
RO: Bei uns sind Redaktion und Herausgeberinnengremium nicht getrennt, die Herausgeberinnen fungieren alle auch als Redakteurinnen. Wir arbeiten ehrenamtlich und unentgeltlich. Nur ich habe zurzeit eine Art Minijob, der aus Spenden des Fördervereins finanziert wird. Wenn wir diese Mittel nicht hätten, würde es für die Zeitschrift sehr eng. Als Redaktionsassistentin kümmere ich mich um die Redaktionsadresse, um das Einholen von Gutachten für Texte im Peer-Review-Verfahren, zum Schluss mache ich die Endredaktion der Hefte, gebe alles an die Setzerin weiter und erledige später auch die Korrekturdurchgänge. Das war früher anders. Bei einer Endredaktion haben die jeweiligen Heftherausgeberinnen zusammengesessen und konnten das eine oder andere auch noch kurz besprechen.
AO: Es gibt zwei Hefte im Jahr, und wir treffen uns auch zweimal im Jahr, um dann das jeweilig erscheinende Heft zu besprechen, Entscheidungen zu treffen, auf Gutachtengrundlage zu diskutieren, was als fertig gelten kann oder wo noch etwas getan werden muss – oder auch zu sehen, wenn aus etwas nichts wird. Wir versuchen, dass alle Redaktionsmitglieder alle Texte lesen. Dazu kommt, dass die Texte oft in einem unfertigen Zustand bei uns eintreffen. Das dann auf die Qualität zu bringen, die wir im Heft haben möchten, ist Aufwand. Es ist wirklich die Frage im Hinblick auf die Herausforderung, die jetzt vor uns liegt: Lohnt sich das noch und schaffen wir das? Ein drittes Mal treffen wir uns etwas länger im Sommer. Dann werden solche Fragen diskutiert wie anstehende Schwerpunktthemen, wohin entwickelt sich die Zeitschrift, wie entwickelt sich die Redaktion – auch mit dem Anspruch an Disziplinenvielfalt.
Worauf freut ihr euch in der nächsten Zukunft?
AO: Was jetzt ganz spannend wird, ist der aktuelle Call zu „Diversen Geschlechtlichkeiten“. Es gab schon eine interessante Diskussion in der Vorbereitung dieses Calls, denn es wurde schon klar, dass wir innerhalb der Redaktion jeweils eine ganz andere Fokussetzung auf dieses Thema haben. Wir haben diesen Umbrella Term „divers“ für alles, was eine Infragestellung von Zweigeschlechtlichkeit ist, ausgewählt, um nicht schon wieder in die nächste Diskussion über Nonbinäre, Gender Queer, TIN usw. zu gehen, sondern es offen zu halten, aber dennoch die Zweigeschlechterordnung in Bewegung zu bringen. Es hängen da so viele Diskussionen dran, die das Feld generell gerade beschäftigen müssten – ich bin auf dieses Heft und den Produktionsprozess sehr gespannt und freue mich schon richtig drauf!
Zitation: Aline Oloff, Regine Othmer im Interview mit Sandra Beaufaÿs: 40 Jahre feministische studien – woher sie kommen, wohin sie gehen, in: blog interdisziplinäre geschlechterforschung, 15.08.2023, www.gender-blog.de/beitrag/vierzig-jahre-feministische-studien/, DOI: https://doi.org/10.17185/gender/20230815
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