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Forschung

Wie Frauen den Karriereaufstieg einfordern: Arbeitszeitnormen und Arbeitsplatzkontext sind entscheidend

29. Januar 2019 Anja-Kristin Abendroth Laura Lükemann

Es hat in den letzten Jahren vielfältige politische Bemühungen gegeben, die Gleichheit der Geschlechter am deutschen Arbeitsmarkt zu fördern. Dennoch bleiben Unterschiede zwischen den Löhnen und beruflichen Positionen von Frauen und Männern nach wie vor bestehen. Wie lässt sich diese Beharrungstendenz von Ungleichheiten erklären? In unserer Studie zu weiblichem Claims-Making haben wir untersucht, in welchem Arbeitsplatzklima es wahrscheinlicher wird, dass Frauen und Männer gleichermaßen die Initiative ergreifen, um Karrierefortschritte mit ihrem Vorgesetzten zu besprechen.

Claims-Making am Arbeitsplatz

Das sogenannte Claims-Making ist laut der Theorie der relationalen Ungleichheiten einer der zentralen Mechanismen, die an der Entstehung von sozialen Ungleichheiten (bzgl. Einkommen, Macht, Anerkennung) beteiligt sind (Tomaskovic-Devey 2014). Claims-Making am Arbeitsplatz beschreibt einen zweistufigen Prozess: in einem ersten Schritt stellt ein_e Arbeitnehmer_in zunächst Forderungen, im zweiten Schritt entscheidet ein machtvoller Akteur, zum Beispiel der Vorgesetzte, über die Legitimität der Forderung und darüber, ob sie erfüllt wird. Besonders interessieren uns die Einflüsse des Arbeitsplatzkontextes auf die Wahrscheinlichkeit, dass Frauen Karriereaufstiege mit ihren Vorgesetzten besprechen, da dies der Ort ist, an dem Rahmenbedingungen von Beschäftigung verhandelt werden.

Welche Forderungen sind legitim?

Theoretisch ist davon auszugehen, dass Arbeitnehmer_innen Karriereforderungen stellen, weil sie a) selbst empfinden, dass die Forderung angemessen ist, und b) davon ausgehen, dass die Forderung von anderen als angemessen wahrgenommen wird. Die Legitimität einer Forderung wird dadurch bestimmt, in welchem Maße ein_e Arbeitnehmer_in in der Lage ist, anerkannte Ressourcen bereitzustellen, d. h. beispielsweise, wieviele Arbeitsstunden sie aufbringen kann, oder wie produktiv sie in ihrer Arbeitszeit ist. In Deutschland ist die sogenannte ideal worker norm weit verbreitet und institutionell verankert. Ihr zufolge sind Arbeitnehmer_innen dauerhaft in Vollzeit angestellt und haben neben dem Beruf keine weiteren Verpflichtungen. Daher kann angenommen werden, dass die Forderung nach Karrierefortschritten besonders legitim erscheint, wenn sie von Vollzeitbeschäftigten mit Berufserfahrung gestellt wird. Für die Lohnhöhe wurden diese Merkmale bereits als relevante Indikatoren festgestellt (Hirsch 2005, Mandel & Semyonov 2014). Häufig sind diese Anforderungen von Frauen mit Kindern aufgrund ihrer privaten Verpflichtungen nicht zu erfüllen und werden unter anderem als Grund für Geschlechterunterschiede in der Lohnhöhe herangeführt.

Forderungen von Frauen erscheinen weniger legitim

Demnach erscheinen Forderungen von Frauen nach Karrierefortschritten weniger legitim, da die Vereinbarkeit von Berufs- und Privatleben für Frauen schwieriger möglich ist und sie nicht die gleichen Ressourcen wie Männer in die Verhandlung einbringen können. Neben den tatsächlichen Ressourcen ist auch die Eigen- und Fremdwahrnehmung der erbrachten Leistung ausschlaggebend dafür, ob Männer und Frauen ihre Forderungen als angemessen betrachten. Die Eigenwahrnehmung wird stark durch Vergleiche mit Personen in einer ähnlichen Situation geprägt. Da Frauen auch aktuell häufiger als Männer in niedrigeren Berufspositionen zu finden sind und weibliche Arbeitnehmer sich mit anderen Frauen in ebenfalls niedrigen Positionen vergleichen, ist anzunehmen, dass sie nicht erwarten, einen Aufstieg zu ‚verdienen‘. Aber auch Arbeitgeber_innen können die Investitionen von Frauen in ihre Karrieren gegenüber männlichen Investitionen geringer bewerten. Dies kann geschehen, wenn sie die Erfahrung gemacht haben, dass Frauen aufgrund familiärer Verpflichtungen für eine gewisse Zeit ausfallen oder in Teilzeit arbeiten. Infolgedessen könnten Arbeitgeber_innen annehmen, Frauen seien generell weniger produktiv – unabhängig von den tatsächlichen Investitionen der konkreten Arbeitnehmer_in. In diesem Fall kann von statistischer Diskriminierung (Phelps 1972) gesprochen werden.

Vor allem Mütter stellen weniger Forderungen

Die Ergebnisse unserer Studie zeigen, dass sowohl Frauen als auch Männer mit und ohne Kinder eher die Initiative ergreifen und mit ihrem Vorgesetzten über Karrierefortschritte sprechen. Vor allem Mütter stellen dagegen im Vergleich zu Vätern weniger Forderungen. Dies lässt sich darauf zurückführen, dass Mütter mit Kindern tendenziell eher in Teilzeit arbeiten und Aufstiegsforderungen bei reduzierter Arbeitszeit weniger angemessen erscheinen. Ebenso formulieren kinderlose Männer eher Ansprüche auf weitere Karriereschritte als Männer mit Kindern. Unsere Ergebnisse weisen daher auf die Relevanz der Arbeitszeit für die Legitimation von Forderungen hin. Gleiches lässt sich für andere Merkmale der Produktivität, wie die berufliche Position oder Qualifikation, nicht zeigen. In Deutschland scheint demnach die ideal worker norm noch immer ein relevanter Indikator für berufliche Karrieremöglichkeiten zu sein.

Der Arbeitsplatzkontext bestimmt den Erfolg

Karrieremöglichkeiten werden am Arbeitsplatz verhandelt. Dabei liegen den Karrierekonzepten je nach Unternehmen andere Normen zugrunde, die sich zwar an gesellschaftlich verbreiteten Überzeugungen orientieren, jedoch spezifisch in die jeweiligen Unternehmensstrukturen und -praktiken eingebettet sind. So sind einige Unternehmen flexibler als andere, wenn es um die Vereinbarkeit von Berufs- und Privatleben geht, und es spielt eine Rolle, ob mehr Frauen oder mehr Männer in Führungspositionen sind. Auch organisationsexterne Faktoren, wie das Wettbewerbsumfeld, tragen zum Stil der Mitarbeiter_innenführung bei. All diese Aspekte führen dazu, dass Arbeitnehmer_innen in unterschiedlichen Arbeitskontexten agieren und von diesen profitieren oder durch sie benachteiligt werden. So wurde beispielsweise bereits gezeigt, dass der Gender Wage Gap zwischen Arbeitsplätzen variiert, je nachdem, wie ausgeprägt die Geschlechtersegregation im Unternehmen ist (Ludsteck 2014). Werden in Unternehmen bestimmte Tätigkeiten eher von Männern oder eher von Frauen ausgeübt, so fällt der Gender Wage Gap in diesen Betrieben größer aus.

Familienfreundlichkeit begünstigt Karriereforderungen von Frauen

Ein zentrales Ergebnis unserer Studie ist, dass die Familienfreundlichkeit des Arbeitsplatzkontextes relevant ist, wenn Arbeitnehmer_innen ihre Forderungen formulieren. Werden sie von ihrem Vorgesetzten in der Vereinbarkeit von Berufs- und Privatleben unterstützt, so führt dies dazu, dass sich vor allem Mütter im Vergleich zu Vätern eher trauen, Forderungen zu stellen, und es findet eine Angleichung zwischen diesen Gruppen statt. Dem gegenüber sprechen sowohl Frauen mit als auch solche ohne Kinder in hoch belasteten Arbeitsplatzkontexten, in denen Mehrarbeit, ständige Erreichbarkeit und Arbeit unter hohem Druck erwartet werden, weniger häufig als Männer mit Kindern mit ihrem Vorgesetzten über ihr berufliches Fortkommen. Dies legt die Vermutung nahe, dass Frauen vor allem in hoch belasteten Kontexten glauben, den ohnehin hohen zeitlichen Anforderungen am Arbeitsplatz nicht gerecht werden zu können, insbesondere, wenn sie einen Karriereaufstieg beabsichtigen. Auch Frauen ohne Kinder scheinen die zukünftige Vereinbarkeitsproblematik von Berufs- und Privatleben zu antizipieren und schrecken ebenfalls davor zurück, Forderungen nach Karrierefortschritten zu stellen.

Unsere Ergebnisse weisen auf die Relevanz des Arbeitsplatzklimas für die Angleichung von Forderungen weiblicher und männlicher Arbeitnehmer_innen hin. Mit der bestehenden Norm der Vollzeiterwerbstätigkeit zu brechen und vermehrt familienfreundliche Arbeitsplätze anzubieten, können wirksame Mittel geschaffen werden, um Frauen und vor allem Mütter darin zu bestärken, ihre Karrieremöglichkeiten mit ihrem Vorgesetzten zu besprechen.

Weitere Infos

Die Studie wurde im Rahmen des DFG-Projektes „Organisationale Ungleichheiten und Wechselwirkungen zwischen Verwirklichungschancen im Berufs- und Privatleben“ durchgeführt.

Zu den Ergebnissen der Studie.

Literatur

Tomaskovic-Devey, Thomas (2014). The Relational Generation of Workplace Inequalities. Social Currents, 1(1): 51–73. DOI: https://doi.org/10.1177/2329496513514032

Hirsch, Barry T. (2005). Why Do Part-Time Workers Earn Less? The Role of Worker and Job Skills. ILR Review, 58(4): 525–551. DOI: https://doi.org/10.1177/001979390505800401

Mandel, Hadas & Semyonov, Moshe (2014). Going Back in Time? Gender Differences in Trends and Sources of the Racial Pay Gap, 1970 to 2010. American Sociological Review, 81(5): 1039–1068. DOI: https://doi.org/10.1177/0003122416662958

Phelps, Edmund S. (1972). The Statistical Theory of Racism and Sexism. The American Economic Review 62(4): 659–661. Zugriff am 13.03.2019 unter https://www.jstor.org/stable/1806107?seq=1#metadata_info_tab_contents.

Ludsteck, Johannes (2014). The Impact of Segregation and Sorting on the Gender Wage Gap: Evidence from German Linked Longitudinal Employer-Employee Data. ILR Review, 67(2), 362–394. DOI: https://doi.org/10.1177/001979391406700204

Zitation: Anja-Kristin Abendroth, Laura Lükemann: Wie Frauen den Karriereaufstieg einfordern: Arbeitszeitnormen und Arbeitsplatzkontext sind entscheidend, in: blog interdisziplinäre geschlechterforschung, 29.01.2019, www.gender-blog.de/beitrag/wie-frauen-den-karriereaufstieg-einfordern-arbeitszeitnormen-und-arbeitsplatzkontext-sind-entscheidend/, DOI: https://doi.org/10.17185/gender/20190129

Beitrag (ohne Headergrafik) lizensiert unter einer Creative Commons Namensnennung 4.0 International Lizenz Creative Commons Lizenzvertrag

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Prof. Dr. Anja-Kristin Abendroth

Anja-Kristin Abendroth ist Jun. Prof. für technischen und sozialen Wandel im Arbeitsbereich Sozialstrukturanalyse und Soziale Ungleichheit an der Universität Bielefeld. Sie ist Projektleiterin im Rahmen des DFG Projektes "Organisationale Ungleichheiten und Wechselwirkungen zwischen Verwirklichungschancen in Berufs- und Privatleben Fakultät für Soziologie". Ihre Forschungsschwerpunkte sind u.a. betriebliche Ungleichheitsregime, Interdependenz von Beruf und Familie, Geschlechterungleichheiten.

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Laura Lükemann

Laura Lükemann ist Doktorandin im Bereich Soziologie an der Univserität Bielefeld und ist dort als Wissenschaftliche Mitarbeiterin in dem DFG-Projekt "Organisationale Ungleichheiten und Wechselwirkungen zwischen Verwirklichungschancen in Berufs- und Privatleben" tätig. Ihre Forschungsinteressen liegen in den Bereichen Arbeitsmarkt, Geschlechterungleichheiten, Lebensverlaufsforschung und Digitalisierung.

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