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Headergrafik: Joséphine Sagna "Face of Mine" 2019 (Detail), Acryl auf Leinwand, 190 x 190, Privatsammlung.

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You Need To See: Kunst zur fehlenden Sichtbarkeit von Schwarzen Frauen*

24. Januar 2023 Katharina Hilbich

YOU NEED TO SEE – du musst sehen. In ihrer Einzelausstellung im Märkischen Museum Witten thematisiert die deutsch-senegalesische Künstlerin Joséphine Sagna Identitätskonflikte, strukturellen Rassismus, aber auch Empowerment aus der Sicht einer Schwarzen Frau* in einer weißen Mehrheitsgesellschaft. Mit ihrer bunten und vielfältigen Kunst setzt sie ein politisches Zeichen für intersektionalen Feminismus und feiert die Diversität von BIPOC-Frauen*.

Die Künstlerin Joséphine Sagna vor Bildern ihrer Ausstellung im Märkischen Museum Witten.
Die Künstlerin Joséphine Sagna vor Bildern ihrer Ausstellung im Märkischen Museum Witten,
Foto: Roland Baege.

Ihr Arbeitsmotto „Kreativität kommt beim Machen“ erkennt man auf den ersten Blick: Mit unzähligen Farbschichten, -verläufen und -kombinationen portraitiert Joséphine Sagna Körper und Gesichter von Schwarzen Frauen*, die sich gegen rassistische Vorurteile auflehnen und mit westlichen Schönheitsidealen brechen. Dabei würdigt Sagna nicht nur die Vielschichtigkeit der Frauen*, sondern macht mit Werken wie „Flowers aren’t enough“ auch auf politische Themen wie den Mord an George Floyd durch Polizisten im Jahr 2020 aufmerksam und kritisiert mit der Metapher von welkenden Blumen den vergänglichen Aktivismus einer weißen Mehrheitsgesellschaft.

Ist Kunst immer auch politisch?

Das Label „Politischer Aktivismus“, welches ihr oft von außen zugeschrieben wird, möchte sie sich jedoch selbst nicht geben, wie sie bei einem Digital Artist Talk mit dem Märkischen Museum erzählt – vielmehr sei sie eine Aktivistin wider Willen, so Sagna, da ihre Arbeit aufgrund ihrer Identität als Schwarze Künstlerin immer auch politisch und aktivistisch war, ist und sein wird. Mit ihrer Kunst trägt sie aktiv zu einer verbesserten Repräsentation von BIPoC bzw. Schwarzen Frauen* in Kunst und Gesellschaft bei.

Als Inspirationsquelle für ihre Portraits dient ihr vor allem die Social-Media-Plattform Instagram. Dabei malt Sagna keine einzelnen Fotos von Schwarzen Frauen* ab, sondern kombiniert unterschiedliche Motive, die sie ansprechen und inspirieren, um den Bildern auf der Leinwand mehr Raum zu geben als im schnelllebigen Internet. Auf den meisten Leinwänden, die in Witten hängen, sind Gesichter zu erkennen – mal offensichtliche Portraits, mal abstraktere Konstellationen von verschiedenen Gesichtsmerkmalen. Was jedoch in jedem Kunstwerk zu finden ist, ist die Energie, die Sagna mit ihren Farben und vor allem mit ihrer Maltechnik erzeugt. Pinselstriche, versteckte Wörter aus einfachen Markern, Farbklekse, die in alle Richtungen verlaufen, und ausdrucksstarke Gesichter oder Körper in der Mitte der Leinwand, die ihre Botschaft deutlich machen: die Diversität von Schwarzen Frauen* als Auflehnung gegen rassistische Stereotype und westliche Schönheitsnormen. You need to see.

Konfrontation mit eigenen Rassismen von Betrachter*innen

Als ich Joséphine Sagna während des Digital Artist Talks zugehört und einige Wochen später selbst die Ausstellung besucht habe, war mir meine Rolle als weiße Frau, die über eine Schwarze Künstlerin schreibt, sehr präsent. Mir ist es wichtig, eine macht- und hierarchiekritische Perspektive beizubehalten, wenn es darum geht, wer in einer von Grund auf mit rassistischen Denkmustern und verinnerlichten Stereotypen durchzogenen Gesellschaft über wen spricht – vor allem wenn es um Themen wie rassistische Diskriminierung geht. Als weiße Frau, die keine Rassismuserfahrungen macht, hat mich die Ausstellung eindringlich daran erinnert, mich selbst mit eigenen verinnerlichten Rassismen zu konfrontieren und mich mit ihnen auseinanderzusetzen.

Joséphine Sagnas Installation „Microaggressions“ stellt eine dieser Konfrontationen dar. Eine freistehende Wand hat sie eigenhändig mit Sprüchen, Fragen, Kommentaren und Aussagen beschrieben, die widerspiegeln, wie offen, verdeckt, übergriffig und (nicht)greifbar Rassismus in Form von Mikroaggressionen den Alltag von BIPoC umhüllt. Auf der Wand stehen beispielsweise übergriffige Sprüche wie: „Kann ich mal deine Haare anfassen?“, oder stereotypisierende Aussagen wie: „Du kannst bestimmt voll gut tanzen“.

Zerrissenheit zwischen zwei Kulturen

Ihre Kunst nutzt Joséphine Sagna, um eigene Identitätskonflikte zu verarbeiten und sich als Person, die bikulturell aufgewachsen ist, dem nach ihren Worten „ewigen Spiel zwischen dem Hin und Her“ zu stellen. Das Titelbild ihrer Ausstellung („Faces Of Mine“) soll genau dieses Gefühl von Zerrissenheit zwischen zwei Kulturen darstellen. Aber auch ihre eigene Wut verarbeitet Sagna in den Bildern. Die „wütende, laute Schwarze Frau“ sei ein weiteres rassistisches und essentialisierendes Stereotyp. Es greife als sozialer Mechanismus, um bestehende Machtverhältnisse aufrecht und Schwarze Frauen* dementsprechend in einer unterdrückten Position zu halten. Als Kampfansage hat die Wut im Märkischen Museum daher einen eigenen, offenen Raum bekommen, den „Angry Black Women“-Raum, in dem Sagna ihre persönlichen Erfahrungen mit Wut in beeindruckenden und energetischen Bildern an die Wand gebracht hat und damit auch andere BIPoC-Frauen* ermutigen möchte, wütend zu sein – trotz oder gerade wegen der Stereotypisierung.  

Wut – Freude – Hoffnung

Während Joséphine Sagna auf der Leinwand mit Acryl-, Öl- und Sprühfarben, Tusche und Markern arbeitet, bringt sie durch ihr Studium in Fashion Design an der HAW Hamburg mit ihrer eigenen Modekollektion „Painting Fashion“ noch eine weitere Kunstform mit in ihre Ausstellung und verbindet so Malerei mit Modedesign. Ihre Modekollektion und die der Kunst zugrundeliegende Botschaft – die Thematisierung von strukturellem Rassismus und Empowerment – und die Mischung aus bunten Portraits, selbstgeknüpften Teppichen, Typografie-Elementen aus Sagnas eigener Handschrift machen die Einzelausstellung in Witten zu einem beeindruckenden Erlebnis, das Auge und Kopf herausfordert. Gleichzeitig öffnet sie mit jedem Werk individuelle Bedeutungsräume für Betrachter*innen und lässt sie damit Emotionen wie Wut, Freude und Hoffnung nachspüren.

Joséphine Sagnas Ausstellung „YOU NEED TO SEE“ ist noch bis zum 26. Februar 2023 im Märkischen Museum in Witten zu sehen.

Zitation: Katharina Hilbich: You Need To See: Kunst zur fehlenden Sichtbarkeit von Schwarzen Frauen*, in: blog interdisziplinäre geschlechterforschung, 24.01.2023, www.gender-blog.de/beitrag/you-need-to-see/, DOI: https://doi.org/10.17185/gender/20230124

Beitrag (ohne Headergrafik) lizensiert unter einer Creative Commons Namensnennung 4.0 International Lizenz Creative Commons Lizenzvertrag

© Headergrafik: Joséphine Sagna "Face of Mine" 2019 (Detail), Acryl auf Leinwand, 190 x 190, Privatsammlung.

Katharina Hilbich

Katharina Hilbich studiert Sozialwissenschaft an der Ruhr-Universität Bochum und arbeitet am Lehrstuhl für Soziologie, soziale Ungleichheit und Geschlecht. Ihre Interessensschwerpunkte liegen vor allem in den Bereichen Geschlechterdiskurse und Intersektionalität. In ihrer Bachelorarbeit schreibt sie über Schnittstellen von Antifeminismus und Rechtsextremismus.

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