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Forschung

Zwischen Anspruch und Wirklichkeit: Gleichstellung in der Hochschulkommunikation

03. Dezember 2024 Chantal Vomlela

In deutschsprachigen Medien sind Wissenschaftlerinnen deutlich unterrepräsentiert – ein Umstand, auf den die Akteur*innengruppe der Hochschulkommunikation Einfluss nehmen kann. An der Schnittstelle zwischen Hochschule und Gesellschaft tätig, entscheidet sie mit, welche Forschung und welche Forschenden sichtbar gemacht werden.

Um die Sichtbarkeit von Wissenschaftlerinnen zu erhöhen, ist es notwendig, dass Kommunikationsverantwortliche ihre eigenen Positionen und unbewusste Geschlechterstereotype reflektieren und ihre Handlungs- und Gestaltungsspielräume gendersensibel nutzen. Doch wie gestaltet sich das Spannungsfeld zwischen wahrgenommener Relevanz von Gleichstellung und der tatsächlichen Verantwortungsübernahme in der Hochschulkommunikation? Diese Frage soll in diesem Beitrag auf Grundlage der Ergebnisse des Projekts „Exzellenz entdecken und kommunizieren. Sensibilisierung und Kompetenzentwicklung zum Thema Exzellenz und Gender für Postdocs und Akteur*innen der Hochschulkommunikation“ (EXENKO) nachgegangen werden.

Unsichtbare Exzellenz? Wie Gender Gaps die Wissenschaft prägen

Obwohl es inzwischen einen recht hohen Frauenanteil bei Studierenden in fast allen Fächern gibt, verlassen Frauen immer noch häufig das Wissenschaftssystem in der Postdoc-Phase und haben in geringerem Maße Professuren inne. Diese strukturelle Unterrepräsentanz spiegelt sich auch in der wissenschaftlichen Anerkennung wider: Wenn Frauen die wissenschaftliche Karriere weiterführen, erhalten sie weniger Aufmerksamkeit als ihre Kollegen. Dies belegen sowohl der Gender Award Gap (vgl. Meho 2021) als auch der Gender Citation Gap (vgl. Dworkin et al. 2020). Konkret bedeutet dies, dass vor allem Wissenschaftler mit hochdotierten Preisen ausgezeichnet und von Kolleg*innen zitiert werden. Diese Dynamik verstärkt sich selbst, da die Zuschreibung von wissenschaftlicher Exzellenz eng mit quantifizierbaren Kriterien wie Publikations- und Zitationszahlen verknüpft ist (vgl. Angermüller 2010). Auch wenn Kommunikationsverantwortliche dies kaum beeinflussen können, kommt ihnen dennoch eine wichtige Rolle zu: Sie können durch gezielte Öffentlichkeitsarbeit Wissenschaftlerinnen und ihre Forschung in der Gesellschaft sichtbarer machen und damit aktiv zur Reduzierung der bestehenden Gender Gaps beitragen.

Das EXENKO-Projekt: Von Interviews zu Impulsen

Das vom BMBF geförderte Forschungs- und Praxisprojekt EXENKO der Universität Duisburg-Essen setzt sich mit Anerkennungsstrukturen und Sichtbarkeit von Wissenschaftlerinnen auseinander. Dabei werden Vorstellungen und das Verständnis von wissenschaftlicher Exzellenz untersucht und reflektiert. Im Projekt wurden in diesem Zusammenhang an vier Partnerhochschulen, der Universität Duisburg-Essen, der Hochschule Ruhr West, der RWTH Aachen University und der Universität zu Köln, zunächst 52 leitfadengestützte Interviews mit Postdocs, Professorinnen, Akteur*innen der Hochschulkommunikation sowie Expert*innen aus dem Bereich Gender & Diversity geführt. Im zweiten Schritt wurden die unterschiedlichen Akteur*innen zu Dialogveranstaltungen eingeladen, mit dem Ziel, die Ergebnisse der Interviewstudie zu diskutieren und Austausch herzustellen. In der dritten Phase wurden auf Grundlage der vorherigen Ergebnisse in verschiedenen Workshop-Formaten zielgruppenspezifisch Handlungsansätze zur Sichtbarmachung und Sichtbarwerdung erprobt und die Workshops daraufhin evaluiert. Abschließend folgte eine Multiplikationsveranstaltung, zu der Akteur*innen aus der Wissenschaft, der Hochschulkommunikation und dem Bereich Gender & Diversity eingeladen wurden, um mit ihnen Wege zu mehr Sichtbarkeit von Wissenschaftlerinnen zu diskutieren, Impulse aufzugreifen und fruchtbare Ideen produktiv voranzutreiben.

Zwischen Relevanz und Realität: Stimmen aus der Hochschulkommunikation

Doch wie gestaltet sich nun die Aufgabe, Gleichstellung nicht nur zu thematisieren, sondern auch zu fördern? Die im Projektkontext interviewten Kommunikationsverantwortlichen positionierten sich in ihrer Grundhaltung positiv gegenüber Gleichstellungsaspekten und bewerteten diese als von hoher sowohl öffentlicher als auch persönlicher Relevanz. Es sei notwendig, Geschlechtergleichstellung aktiv zu fördern, da sich im tradierten Wissenschaftssystem ohne gezielten Impuls nichts verändere. Gleichzeitig formulierten sie den Anspruch an Wissenschaftskommunikation, journalistische Kriterien zu beachten, was bedeute, die Realität und damit auch die nummerischen Geschlechterverhältnisse nicht zu beschönigen. Dass durch jede Form der Kommunikation Wirklichkeit immer auch mitkonstruiert wird, wurde von ihnen nicht thematisiert.

In der Praxis fehlen den Kommunikationsverantwortlichen konkrete Strategien, wie sie Gleichstellungsfragen in den Arbeitsalltag der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit integrieren können. Obwohl Kommunikationsverantwortliche an Hochschulen zwar Gleichstellungsaspekten eine hohe Relevanz zuschreiben, bleiben also die eigenen Gestaltungs- und Handlungsspielräume weitgehend unausgeschöpft – ein Befund, der auf einen Bedarf an gezieltem Austausch zwischen Hochschulkommunikator*innen, Wissenschaftler*innen und Expert*innen aus den Bereichen Gender & Diversity verweist.

Den Austausch anstoßen

In den Dialogveranstaltungen, in denen die genannten Akteur*innengruppen sich austauschten, wurde viel über mangelnde Ressourcen diskutiert. Im Fokus stand die Frage, wer für das Holen und Bringen von Informationen über Forschungsergebnisse und Forschende hauptsächlich verantwortlich sein soll. Auch wenn die Sichtbarkeit von Wissenschaftlerinnen durch ein aktives Einholen der Informationen aufseiten der Hochschulkommunikation gefördert werden könnte, wäre dies zeitlich und personell kaum handhabbar.

In den Sensibilisierungs-Workshops spiegelten sich die Erkenntnisse aus den beiden vorherigen Modulen wider. Die Teilnehmenden zeigten sich einerseits sehr interessiert und bewerteten vor allem Bildsprache als einen wichtigen Aspekt, zeigten andererseits jedoch auch hier zum Teil wenig Sensibilität für strukturelle Ungleichheiten im System. Dies bildete sich ebenfalls in fehlendem Wissen über den eigenen Gestaltungsspielraum hinsichtlich der Sichtbarmachung von Wissenschaftlerinnen ab. Beides weist darauf hin, dass das Wissen über Gender & Diversity-Aspekte seitens der Verantwortlichen für Hochschulkommunikation vertieft und ihre Genderkompetenz gestärkt werden könnte. Über den in den Dialogveranstaltungen positiv hervorgehobenen strukturierten Austausch und die Vernetzung zwischen den Akteur*innengruppen kann dies ermöglicht werden.

Wege zur strukturellen Veränderung

Bei der Multiplikationsveranstaltung wurden zusätzlich zu fehlenden Ressourcen weitere strukturelle Probleme, wie u. a. die geschlechtsspezifische Wahrnehmung und Bewertung von Leistungen diskutiert. Wissenschaftskommunikator*innen können zur Auflösung damit verbundener Geschlechterstereotype beitragen. Zu den Werkzeugen zählen insbesondere eine gendersensible Bild- und Textsprache, aber auch die Unterstützung von Wissenschaftler*innen, ihre Forschung in öffentlichen Medien zu präsentieren. Wie auch in den Dialogveranstaltungen wurde die hohe Bedeutung des Austauschs mit Wissenschaftler*innen hervorgehoben. Dadurch können strukturelle Hindernisse abgebaut und wechselseitiges Verständnis von Handlungslogiken erzielt werden.

Ausblick: Von der Sensibilisierung zur aktiven, dialogischen Gestaltung

Es zeigt sich eine zentrale Herausforderung in der Hochschulkommunikation: Die Kluft zwischen dem Bewusstsein für Gleichstellung und der tatsächlichen Umsetzung. Trotz grundsätzlich positiver Haltungen gegenüber Gleichstellungsaspekten, fehlt es oft an konkreten Handlungsstrategien zur Steigerung der Sichtbarkeit von Wissenschaftlerinnen. Neben strukturellen Barrieren, die sich in der Unterrepräsentanz von Wissenschaftlerinnen, insbesondere auf professoraler Ebene und in deutlichen Gender Gaps bei Forschungspreisen und Zitationen zeigen, ergeben sich im Kontext von Sichtbarkeit für die Hochschulkommunikation bedeutende Handlungspotenziale. Diese liegen in der (Weiter-)Entwicklung der gezielten Sichtbarmachung von Wissenschaftlerinnen und einer gendersensiblen Bild- und Textsprache. Im EXENKO-Projektkontext hat sich ein bereichsübergreifender Dialog zwischen Kommunikator*innen, Wissenschaftlerinnen und Gender-Expert*innen als fruchtbarer Baustein erwiesen. Gemeinsam kann eine Verantwortungsübernahme erreicht werden, die über punktuelle Maßnahmen hinausgeht und eine grundlegende Transformation der Kommunikationskultur in Hochschulen vorantreibt, die Gleichstellung nicht als Zusatzaufgabe, sondern als integralen Bestandteil wissenschaftlicher Praxis und damit auch von Wissenschaftskommunikation versteht.

Literatur

Angermüller, Johannes (2010). Wissenschaft zählen: Regieren im digitalen Panopticon. Leviathan (Sonderheft 25), 174–190. Online verfügbar unter: https://www.johannes-angermuller.net/pub/pdf/Angermueller2010Wissenschaftzaehlen.pdf (letzter Zugriff: 08.11.2024).

Dworkin, Jordan D.; Linn, Kristin A.; Teich, Erin G.; Zurn, Perry; Shinohara, Russell T. & Bassett, Danielle S. (2020). The extent and drivers of gender imbalance in neuroscience reference lists. Nature neuroscience, 23(8), 918–926. https://doi.org/10.1038/s41593-020-0658-y

Meho, Lokman I. (2021). The gender gap in highly prestigious international research awards, 2001–2020. Quantitative Science Studies, 2(3), 976–989. https://doi.org/10.1162/qss_a_00148

Zitation: Chantal Vomlela: Zwischen Anspruch und Wirklichkeit: Gleichstellung in der Hochschulkommunikation, in: blog interdisziplinäre geschlechterforschung, 03.12.2024, www.gender-blog.de/beitrag/zwischen-anspruch-und-wirklichkeit/, DOI: https://doi.org/10.17185/gender/20241203

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Chantal Vomlela

Chantal Vomlela ist Master-Studentin der Philosophie und Kommunikationswissenschaft an der Universität Duisburg-Essen. Zudem ist sie wissenschaftliche Hilfskraft am Institut für Kommunikationswissenschaft und am Institut für Soziologie im Projekt EXENKO.

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