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Headergrafik: Ian Dyball/AdobeStock

Interview

"Sounds like a real man..." – Männlichkeiten in der Popkultur

19. November 2019 Sandra Beaufaÿs

Populäre Musikkultur und Männlichkeit sind Gegenstände, die nach ihrer kontextualisierenden Erforschung zu rufen scheinen, denn spätestens seit den 1960er-Jahren wird die mediale westliche Öffentlichkeit wesentlich durch sie geprägt. Aktuell ist in der Buchreihe „Geschlecht und Gesellschaft“ ein Band mit wissenschaftlichen Texten zum Thema erschienen: Der Band „Sounds like a real man to me“, herausgegeben von Laura Patrizia Fleischer und Florian Heesch, beleuchtet aus vielfältigen, interdisziplinären Perspektiven plurale Männlichkeiten in der Populärkultur. Sandra Beaufaÿs sprach mit den Herausgeber_innen.

Wie kam es zu der Idee für dieses Buch und was macht seinen Zuschnitt aus?

Florian Heesch: Das Thema Männlichkeit/Männlichkeiten hat mich schon länger interessiert in Zusammenhang mit Heavy Metal. 2009 hatte ich eine internationale Tagung zu Heavy Metal und Gender in Köln organisiert. Metal ist eine Musikkultur, in der die Darstellung von Männlichkeit/Männlichkeiten eine sehr große Rolle spielt. Viele Referent_innen auf dieser Tagung haben versucht, das Thema zu differenzieren und zu sagen, im Metal gibt es nicht nur eine ganz bestimmte Art von Macho-Männlichkeit, sondern es kommt eben drauf an – zum Beispiel, wenn man sich mit historischem Blick unterschiedliche Subgenres anschaut, unterschiedliche Akteure – welches Alter haben die, also, über welche Männer und Männlichkeiten sprechen wir denn eigentlich? Wir blieben an diesem Thema dran und es passte dann sehr gut, als Laura Fleischer dazukam, die damals mit ihrem Promotionsprojekt zu Männlichkeiten im franko-kanadischen Country anfing. 2016 haben wir an der Universität Siegen eine Ringvorlesung veranstaltet und Leute aus verschiedenen Disziplinen eingeladen, über Männlichkeiten in populärer Musik zu sprechen. Wir wollten das aber auch ein bisschen ausweiten über Musik hinaus auf Populärkultur.

Sie haben das Konzept bewusst ausgeweitet auf die Analyse von Videos und andere Formen der Inszenierung.

Florian Heesch: Ja, weil populäre Musik ganz oft audiovisuell daherkommt, alltäglich geradezu, in Form von Musikvideos oder natürlich auch Konzertperformances, Darstellungen von Stars auf Bildern oder im Kleidungsstil der Fans – da gehört das Visuelle mit dazu. Populäre Kultur spricht nicht nur einen bestimmten Sinnesmodus an. Das spielt gerade in Bezug auf Geschlechterinszenierungen eine entscheidende Rolle – wenn ich eine Person, die singt oder ein Instrument spielt, sehe und nicht nur höre, dann geht es auch um die visuelle Inszenierung dieser Person.

Was sind denn „Männlichkeiten“ in der Populärkultur?

Florian Heesch: Was Männlichkeiten im Plural betrifft, kommen zwei Dinge zusammen. Einmal das Konzept von Raewyn Connell zu Masculinities, das für viele Beiträge im Buch auch einen wichtigen theoretischen oder soziologischen Rahmen darstellt. Zum anderen gehen wir von der phänomenorientierten Beobachtung aus, dass Geschlecht in unterschiedlichen Musikgenres – ob Rap, Country, Popballaden oder Punk – verschieden dargestellt wird: Die Inszenierung von Männlichkeit funktioniert auf ganz verschiedene Weise.

Gibt es nicht auch Parallelen beispielsweise zwischen dem „trucks and beers and girls and then more trucks“ des US-amerikanischen Bro-Country und den Männlichkeitsinszenierungen des Gangsta-Rap?

Laura Fleischer: Bei diesen beiden Szenen sticht natürlich schnell ins Auge, dass sich die dortigen Männlichkeitsinszenierungen als sehr machistisch und insbesondere heteronormativ lesen lassen, was auch an einer starken Betonung der eigenen Heterosexualität liegt. Dabei kommt es in der Regel zu einer sehr bewussten Herausstellung des eigenen männlichen Habitus und dem starken Bedürfnis, unbedingt als ‚Mann’ wahrgenommen zu werden. Das passiert meist auch durch eine deutliche und sehr bewusste Abgrenzung zum Weiblichen, im Bro-Country etwa den ‚girls’. Auch wird das eigene Verhalten durch bestimmte Marker als möglichst ‚männlich’ konnotiert, etwa die häufige Betonung von Verhaltensweisen wie drinking beer, driving big trucks oder eben auch having a pretty girl by one’s side. Einer der großen Kritikpunkte aus der Country-Fangemeinde ist, dass der Bro-Country Frauen lediglich zum schmückenden Beiwerk der Männer mache. Ähnliche Beobachtungen oder Vorwürfe gibt es ja auch an den Gangsta Rap und etwa die oftmals als sexistisch oder degradierend empfundene Darstellung von Frauenkörpern in Musikvideos.

Das klingt für mich schon nach ähnlichen Strategien…

Laura Fleischer: Ja, trotzdem muss man natürlich sagen, dass die Art und Weise, wie das alles geschieht, in den jeweiligen Szenen ganz unterschiedlich funktioniert. Selbst bei einer als vielleicht archetypisch wirkenden hetereonormativen Männlichkeit, die auf den ersten Blick in vielen Dingen gleich scheint, stößt man doch schnell wieder auf Brüche. So ist es eher unwahrscheinlich, dass im Gangsta Rap etwa das Jagen und Fischen in der Natur als Beweis für besonders männliches Verhalten herangezogen würde, während die Darstellung von Geld, Reichtum und Macht – die im Gangsta Rap ja auch oft das Element einer Erfolgsgeschichte aus einer marginalisierten Position heraus nachzeichnet – als Männlichkeitsinszenierung im Bro-Country überhaupt nicht funktionieren würde.

Ist die populäre Kultur eigentlich eine verändernde oder eher eine reproduzierende Kultur in Bezug auf Geschlecht?

Florian Heesch: Beides. Dazu haben wir einige Beiträge, die genau dieses Spannungsfeld aufmachen. Zum Beispiel stellt der Aufsatz von Julia Wustmann, Babette Kirchner und Michael Meuser die traditionalistische Szene des Rockabilly der Visual Kei-Szene gegenüber, die heteronormative Geschlechtermodelle in ihren Inszenierungen hinterfragt. Es existiert beides parallel, das ist ja auch ganz faszinierend. Was mich in meinem eigenen Beitrag interessiert, ist der Sänger und Schauspieler Pierre Cosso, der Mitte der 1980er-Jahre für relativ kurze Zeit ein Musikstar war, als Sänger von sentimentalen Balladen. In diesen Balladen erscheint er mit weicher, gefühlvoller Stimme und wurde in der BRAVO entsprechend als Softie dargestellt. So kam er durch seine Musik rüber. Wenn man jetzt die visuellen Seiten seines Starimages mit einbezieht und auch, wie er sich selbst in Interviews darstellte, zeigt sich, dass hier noch etwas von einer starken Männlichkeit hineinkommt. Zum Beispiel, indem er sich als sehr sportlicher Typ darstellt, der sich lässig kleidet, einen muskulösen Körper hat und Sportarten wie Boxen und anders praktiziert, was eher mit Männlichkeit in einem traditionellen Sinne verbunden ist und gar nicht dieses Softie-Image bedient. Diese Ambiguität ist eigentlich etwas, das sich durch Pop hindurchzieht. Allerdings steht es noch aus, den Pop-Mainstream daraufhin genauer zu untersuchen.

In dem Band erscheinen auch mehrere Beiträge zu intersektionalen Identitätsaspekten wie Ethnie, Klasse, Behinderung. Gerade hier scheinen maskuline Inszenierungen eine wesentliche Rolle zu spielen. Wie erklären Sie sich das?

Florian Heesch: Das hat sicherlich etwas zu tun mit der Figur von Männlichkeit als starker Instanz, als Machtinstanz. Hegemoniale Männlichkeit im Sinne von Connell scheint ja zunächst einmal einer kleinen Gruppe von Männern zugänglich, aber sie steht als Form von Machtperformance nicht nur Männern, sondern auch Frauen offen und Menschen, die unterschiedliche Marginalisierungen erfahren. Wie es zum Beispiel Marion Gerards anhand der finnischen Punkband „Pertti Kurikan Nimipäivät“ beschreibt. Das sind vier Männer, die als geistig behinderte Personen in einer entsprechenden Einrichtung untergebracht und in ihrem Alltag ständiger Marginalisierung ausgesetzt sind. Die sich damit in ihrer eigenen Musik auseinandersetzen und sich dabei in ihrer Performance Elemente hegemonialer, heteronormativer Männlichkeit aneignen, die vielleicht oberflächlich gesehen irgendwie machohaft bis hin zu sexistisch wirken mögen. Aus ihrer Perspektive hat dies aber eher etwas mit einem Empowerment zu tun, das ihrer alltäglichen Marginalisierungserfahrung entgegensteht. Solche Formen von Männlichkeitsinszenierung tauchen auch in der sogenannten Black Music oder bei Musikern mit Migrationserfahrung auf.

Es fällt auf, dass die Autor_innen des Bandes aus ganz verschiedenen Fachrichtungen kommen. Ist Ihnen eine interdisziplinäre Sichtweise auf dieses Thema ein Anliegen?

Florian Heesch: Es war uns ganz wichtig, interdisziplinär zu arbeiten. Unsere eigene musikwissenschaftliche Perspektive wollten wir unbedingt erweitern. Da wir das Glück hatten, dass sich Kolleg_innen aus der Soziologie, aus den Literaturwissenschaften, der Geschichte, der Sozialarbeitswissenschaft beteiligt haben, konnten verschiedene Medien aus vielfältigen Perspektiven betrachtet und diverse Methoden und Zugänge deutlich werden. Ich glaube, dass sich das Buch deshalb auch an eine größere Leser_innschaft richten kann. Vielleicht werden sich manche „ihren“ Aufsatz dann heraussuchen und aber bei entsprechender Neugier auch noch einmal links und rechts schauen. Für Leute, die sich für Zusammenhänge von Männlichkeit/Männlichkeiten und populärer Kultur– mit oder ohne Musikfokus – interessieren, ist das Buch auf jeden Fall ein interessanter Ausgangspunkt und kann zu neuen und eigenen Auseinandersetzungen anregen.

Literatur

Laura Patrizia Fleischer, Florian Heesch (Hg.) (2019): "Sounds like a real man to me" Populäre Kultur, Musik und Männlichkeit. Reihe Geschlecht & Gesellschaft. Springer VS. https://doi.org/10.1007/978-3-658-22307-6

Zitation: im Interview mit Sandra Beaufaÿs: "Sounds like a real man..." – Männlichkeiten in der Popkultur, in: blog interdisziplinäre geschlechterforschung, 19.11.2019, www.gender-blog.de/beitrag/maennlichkeit-pop-musik/, DOI: https://doi.org/10.17185/gender/20191119

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Dr. Sandra Beaufaÿs

Sandra Beaufaÿs ist wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Koordinations- und Forschungsstelle des Netzwerks Frauen- und Geschlechterforschung NRW an der Universität Duisburg-Essen. Ihre Arbeitsschwerpunkte liegen im Wissenstransfer sowie bei den Themen Geschlechterverhältnisse in Wissenschaft, Professionen und Arbeitsorganisationen.

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