Skip to main content
Headergrafik: ©monum – stock.adobe.com

Gesehen Gehört Gelesen

Schonungsloses Stellungbeziehen – Nancy Spero im Museum Folkwang in Essen

16. Juli 2019 Jenny Bünnig

Ungerechtigkeit und Unmenschlichkeit – das sind die zentralen Themen, mit denen sich Nancy Spero in ihrer Kunst auseinandersetzt. Dafür hat die US-amerikanische Künstlerin und Aktivistin, die 1926 geboren wurde und 2009 verstorben ist, eine ihr ganz eigene Bildsprache entwickelt, mit der sie unter dem Einfluss von Krieg und Unterdrückung Gefühle von Grauen, Verzweiflung, Hilflosigkeit zum Ausdruck bringt. Die große Retrospektive, die vom 07. Juni bis zum 25. August 2019 im Essener Museum Folkwang zu sehen ist, gibt Einblick in die Werke und die künstlerische wie politische Positionierung Speros.

Krieg in Serie

Sind es zu Beginn ihrer Karriere wiederholt Liebespaare, über die sie in ihren großformatigen Paris Black Paintings (1959 bis 1964) vor allem Momente von Isolation erfahrbar werden lässt, wird mit ihrer Rückkehr in die USA der Vietnamkrieg zum zentralen Thema in den Bildern von Nancy Spero. Über hundert Werke ihrer War Series (1966 bis 1970) entstehen. Bomb Figure with Tongued Heads (1966), Helicopter + Victims in River of Blood (ohne Jahr), Bomb, Dove and Victims (1967), bereits die Titel ihrer Papierarbeiten deuten an, worum es ihr geht: um die schonungslose Sichtbarmachung von Gewalt, Angst und Brutalität und um eine Anklage. Spero, die sich als politische Künstlerin versteht und in verschiedenen aktivistischen Gruppen engagiert, malt Helikopter, Bomben, den Adler als amerikanisches Wappentier, ergänzt durch Worte, wie Destroy, Kill und Burn. Ihre bestimmenden Farben sind Schwarz und Rot. Sie malt mit schnellen Pinselstrichen, nutzt Verwischungen und Unklarheiten. Immer wieder treten Schrecken und Bedrohung in Gestalt von männlichen Monstern auf (z. B. Male Bomb, 1966). Viele Jahre später und vor dem Hintergrund des Irakkriegs knüpft Nancy Spero, zu diesem Zeitpunkt über achtzig, mit Maypole: Take No Prisoners (2007) für die Biennale in Venedig an diese Arbeiten noch einmal an. Die große Installation, die im Folkwang Museum ebenfalls ausgestellt wird, besteht aus einem Pfahl, von dem, in Anlehnung an einen Maibaum, Fäden nach unten führen, an denen wiederum gemalte menschliche Köpfe befestigt sind. In gewisser Weise ist diese Arbeit eine Synthese, weil in ihr nicht nur wichtige Themen Speros wieder aufgegriffen werden, sondern auch eines ihrer prägenden Bildelemente: das verzerrte Gesicht mit einem zum (stummen) Schrei aufgerissenen Mund.

Frauen, die leiden

Anfang der 1970er-Jahre trifft Nancy Spero die Entscheidung, nur noch Frauen zu malen. Sie wendet sich vom männlichen Monster ab und der weiblichen Figur zu, die für sie zu einem zentralen Mittel ihres künstlerischen Ausdrucks wird. Im Mittelpunkt ihrer Auseinandersetzung mit der Unterdrückung von Frauen stehen dabei selbst hergestellte Stempel, wie zum Beispiel der einer altägyptischen Himmelsgöttin, den Spero häufig verwendet. Das großformatige Torture of Women (1976) wird zum „Meilenstein ihrer künstlerischen Laufbahn“ (Museum Folkwang 2019: o. S.). Hier kombiniert Spero, die 1972 mit anderen die erste kooperative Galerie New Yorks nur für Künstlerinnen gründet, auf 14 breiten Papierbahnen mythologische Texte und Frauendarstellungen mit zeitgenössischen Folterberichten aus autoritären Regimen. Es sind Erfahrungen von Leid und Qual, die Schicksale von unterschiedlichen Frauen aus verschiedenen Teilen der Welt. In zurückhaltender Farbigkeit treffen hier weibliche Figuren auf lange Textpassagen, groß gesetzte Worte auf Freiflächen. Und aus diesem Zusammenwirken entsteht die besondere Bildwirkung der Arbeit zwischen Irritation und Beklemmung, Distanzierung und Betroffenheit.

Frauen als Speerspitze

Die kritisch-künstlerische Auseinandersetzung mit der gesellschaftlichen Rolle von Frauen bleibt für Nancy Spero bestimmend, doch in den 1980er-Jahren verschiebt sich etwas. Aus der Frau als Missachtete, Misshandelte, Missbrauchte wird eine selbstbestimmte Gestalt. Speros weibliche Figuren beginnen, zu tanzen. Die Künstlerin entwickelt ein vielfältiges Figurenrepertoire von über 400 Motiven – „von antiken Göttinnen bis hin zu zeitgenössischen Darstellungen aus Mode und Werbung“ (Museum Folkwang 2019: o. S.). Die eigentümlich-eindringliche Stillstellung, die einen Teil ihrer Frauenbildnisse prägt, gerät in Bewegung. Und mit der Hinzunahme von Farbe in den 1990er-Jahren, von leuchtendem Rot, intensivem Blau, strahlendem Gelb, wie zum Beispiel in ihrem 22-teiligen Black and Red III (1994), ändert sich auch die Wirkung auf die Betrachter*innen. Die Schwere weicht einer gewissen Leichtigkeit. Aus dem Konzentrieren auf das Leidvolle wird ein Zelebrieren des Lustvollen. Doch auch diese Entwicklung verbindet Nancy Spero mit einer politischen Botschaft: „Vielleicht bringe ich das in meinen aktuellen Werken zum Ausdruck: Lasst uns vorangehen! Lasst uns vorpreschen! Lasst uns die Speerspitze sein!“ (Nancy Spero zitiert nach Museum Folkwang 2019: o. S.).

Kunst und Politik

Mit insgesamt 75 Werken in zehn Räumen zeigt die Ausstellung im Folkwang Museum eindringlich, wie politisches Anliegen und künstlerische Arbeit bei Nancy Spero Hand in Hand gehen. Bei aller formalen Vielfältigkeit, die sich die US-Amerikanerin über die vielen Jahre ihres Schaffensprozesses erarbeiten konnte, hat sie jedoch nie aus den Augen verloren, worum es ihr eigentlich geht: die Menschen. Facettenreich und schonungslos zugleich bezieht sie Stellung. Und gerade deshalb war und ist und bleibt Speros Kunst aktuell – und unentbehrlich.

 

Informationen

Nancy Spero
07.06.2019 bis 25.08.2019
Museum Folkwang
Museumsplatz 1
45128 Essen
Tel.: (0201) 8845 000
info@museum-folkwang.essen.de
www.museum-folkwang.de

Öffnungszeiten:

Dienstag/Mittwoch: 10:00 bis 18:00 Uhr
Donnerstag/Freitag: 10:00 bis 20:00 Uhr
Samstag/Sonntag: 10:00 bis 18:00 Uhr
Montag geschlossen

Eintrittspreise:

Erwachsene: 8 Euro/ermäßigt 5 Euro

Literatur

Museum Folkwang (2019). Nancy Spero. Pressematerialien. Zugriff am 10.07.2019 unter: https://www.museum-folkwang.de/fileadmin/_BE_Gruppe_Folkwang/Dokumente/2019_Pressemitteilungen/2019_Nancy_Spero/MFolkwang_Pressetext_Nancy_Spero_2019_06_06_final.pdf.

Zitation: Jenny Bünnig: Schonungsloses Stellungbeziehen – Nancy Spero im Museum Folkwang in Essen, in: blog interdisziplinäre geschlechterforschung, 16.07.2019, www.gender-blog.de/beitrag/nancy-spero-ausstellung/

Beitrag (ohne Headergrafik) lizensiert unter einer Creative Commons Namensnennung 4.0 International Lizenz Creative Commons Lizenzvertrag

© Headergrafik: ©monum – stock.adobe.com

Dr. Jenny Bünnig

Jenny Bünnig ist wissenschaftliche Mitarbeiterin bei der Koordinations- und Forschungsstelle des Netzwerks Frauen- und Geschlechterforschung NRW. Zu ihren Arbeitsschwerpunkten zählen: Literatur und Kunst der Moderne und Gegenwart, Melancholie, Fremdheit, Zeit- und Raumdarstellungen, „weibliche“ Identitätskonstruktionen in der Literatur, Frauendarstellungen in der Kunst.

Zeige alle Beiträge
Netzwerk-Profil Dr. Jenny Bünnig