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Forschung

Der 8. März als ‚Tag der Verbindung und der Solidarität‘ zwischen Frauen

05. März 2019 Charlotte Binder

Der Internationale Frauentag am 8. März dient dem kollektiven Protest gegen sexistische und patriarchale Strukturen, der Solidarität zwischen Frauen und LGBT-Personen sowie der Sichtbarkeit ihrer Forderungen. Darin zeigt sich die zentrale Funktion des Internationalen Frauentags für Austausch, Vernetzung und Bündnisbildung. Dies ist eins der Ergebnisse meiner Vergleichsstudie zu Bündnispolitiken im Rahmen des 8. März in Berlin und in Istanbul. Was auf den ersten Blick selbstverständlich klingt, ist vor dem Hintergrund unterschiedlicher feministischer Kulturen und sich diversifizierender Frauenbewegungen durchaus voraussetzungsvoll, und der Vergleich zwischen Berliner und Istanbuler Bündnissen ist in dieser Hinsicht aufschlussreich: Im Gegensatz zu Deutschland wird in der heutigen Türkei zumindest partiell von einer (einheitlichen) Frauenbewegung als Soziale Bewegung gesprochen, die – trotz Identitätspolitiken hinsichtlich heterogener Differenzkategorien sowie diverser politisch-ideologischer Verortung – gemeinsame Themen bearbeitet und in der Öffentlichkeit kritisiert.

Forschungsfeld Internationaler Frauentag

In ‚westlich‘ orientierten Gesellschaften wird seit den 1990er-Jahren eine Krise der feministischen Bewegung festgestellt. Vor dem Hintergrund von Globalisierungs- und Transnationalisierungsprozessen, neoliberalen Umstrukturierungen sowie Debatten um Identitätspolitiken ist es für die Frauen- und Geschlechterforschung interessant, sich mit aktuellen Bündnispolitiken zu beschäftigen. Die Aktivitäten zum und der diskursive Umgang mit dem Internationalen Frauentag sind hierfür ein geeignetes Forschungsfeld, denn im Rahmen des Jahrestags wird verdichtet diskutiert, was sonst eher nebenbei behandelt wird: die Existenz und Begründung von Frauenbewegung(en), Feminismus und das Kollektivsubjekt ‚Wir-Frauen‘. Der 8. März lässt sich in Anlehnung an Foucault als transnationales Diskursereignis beschreiben, „in dem sich wie in einem Brennglas die frauen- und geschlechterpolitischen Positionen und Forderungen bündeln und die Art und Weise, wie sie verhandelt werden, sichtbar wird“ (Niederkofler et al. 2011: 9).

Die Analyse der (Un-)Möglichkeit von Bündnissen

Die Analyse der (Un-)Möglichkeit von Bündnissen zwischen frauen- und geschlechterpolitischen Akteur*innen standen im Mittelpunkt meiner Studie. Während der Feldforschungsaufenthalte in Berlin und Istanbul habe ich an Vorbereitungstreffen, Demonstrationen sowie Veranstaltungen zum 8. März teilgenommen, Dokumente gesammelt sowie 40 Expert*innen-Interviews mit Akteur*innen aus Zivilgesellschaft und staatlicher Institutionenpolitik geführt und somit qualitative Daten generiert, die orientiert an der grounded theory ausgewertet wurden. Daraus ergaben sich aufschlussreiche Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen der Berliner und der Istanbuler Sicht auf die Möglichkeit, Bündnisse zu schmieden. Der Vergleich von sechs zentralen Bündnissen zum 8. März zeigte, dass diese außerhalb der Aktivitäten zum Internationalen Frauentag in beiden Orten zumeist als flexibel und brüchig charakterisiert werden können. Dies deutet darauf hin, dass aufgrund der Diversität von frauen- und geschlechterpolitischen Akteur*innen eine dauerhafte Bündnisbildung nur bedingt gelingen kann. Die Bedingungen stellen sich je nach Kontext anders dar.

Berliner Bündnisse

Alle Interviewpartner*innen des Berliner Samples betonten, wie wichtig Austausch, Vernetzung und Bündnisbildung zwischen den verschiedenen frauen- und geschlechterpolitischen Akteur*innen für die Durchsetzung ihrer politischen Ziele sei. Die Expert*innen bewerteten die Diversität von frauen- und geschlechterpolitischen Akteur*innen in Berlin vielfach positiv, wiesen jedoch auch häufig auf eine Zersplitterung bzw. Spaltung der Bewegungen, Szenen und Strömungen hin. Die Kuratorin einer (queer)feministischen Kunst- und Kultureinrichtung sah den Internationalen Frauentag als eine Möglichkeit, diverse frauen- und geschlechterpolitische Akteur*innen zusammen zu bringen. Auch die Mitarbeiterin eines Frauenzentrums formulierte ihren Wunsch nach Vernetzung und Koordination:

„Diese Gemeinsamkeiten […] unter einen Hut zu bringen, was uns alle betrifft, das fände ich schön, wenn man das vielleicht am 8. März bündeln könnte und sagen: ‚an dem Tag machen wir das jetzt aber mal zusammen!‘“

Die Diversität der frauen- und geschlechterpolitischen Akteur*innen in Berlin wird auf thematische Spezialisierungen und auch auf die Größe und der damit zusammenhängenden Dezentralisierung der Stadt zurückgeführt. Der 8. März wird als „Sammelpunkt“ und als „Bündelung von Kräften“ genutzt, um gemeinsame Themen zu benennen und Akteur*innen zu vernetzen.

Solidarität in Istanbul

Während die Expert*innen in Berlin ihren Wunsch nach Bündnisbildung im Rahmen des 8. März mehrheitlich abstrakt formulierten, bezogen sich die Interviewpartner*innen in Istanbul häufig auf konkrete frauen- und geschlechterpolitische Bewegungen. Die Autorin einer links orientierten Zeitschrift erläuterte:

„Es gibt feministische Frauen, es gibt Frauen aus sozialistischen Organisationen, aus gemischten Strukturen, wir können auch die Individuen der LGBT-Bewegung, Frauen aus der homosexuellen Bewegung einschließen. Es ist eine Struktur, die eigentlich gedanklich ähnliche Politiken produziert, aber bei der Aktion oder auf den Plätzen sich nicht sehr verbünden kann. […] Die Frauenbewegung kommt nur am 8. März und am 25. November zusammen.“

Vergleichbar mit Berlin betonten fast alle Interviewpartner*innen aus Istanbul ebenfalls die Relevanz von Austausch, Vernetzung sowie Bündnisbildung zwischen den verschiedenen frauen- und geschlechterpolitischen Akteur*innen für die Durchsetzung ihrer politischen Ziele. Die Funktionen des Internationalen Frauentags wurden darin gesehen, spezifische Probleme von Frauen aus allen Milieus zur Sprache zu bringen, „als Frauen und LGBTs“ gegen die „sexistische Männerherrschaftsstruktur“ zu protestieren, Solidarität herzustellen und die Bedeutung des gemeinsamen Kampfs zu betonen. In Istanbul wurde zudem die Organisierung, die Solidarisierung und die Sichtbarkeit von diversen Frauen* in Opposition zum Patriarchat und zum türkischen Staat genannt.

Ein diskursiver Ort politischer Neuverhandlung

Die Analyse des empirischen Materials ergibt, dass sowohl in Berlin als auch in Istanbul die Diversität von frauen- und geschlechterpolitischen Akteur*innen wahrgenommen und teilweise auch positiv bewertet wurde. Die Expert*innen kritisierten jedoch auch eine Spaltung der frauen- und geschlechterpolitischen Szenen bzw. Bewegungen in beiden Städten und formulierten den Wunsch nach Austausch, Vernetzung und Bündnisbildung im Rahmen des Internationalen Frauentags, indem auf ‚Gemeinsames‘ Bezug genommen werden solle. Die Diskussionen um das Kollektivsubjekt ‚Wir-Frauen‘ im Rahmen des 8. März können im Sinne Butlers dennoch „einen diskursiven Ort der beständigen politischen Neuverhandlung“ bieten (Butler zit. n. Villa 2012:107). Anlässlich des Internationalen Frauentags können frauen- und geschlechterpolitische Akteur*innen also einen ‚temporären Frauen*raum‘ kreieren, um über die Frage zu reflektieren, wie gemeinsame Ziele – auch unabhängig einer identitätspolitischen Orientierung – verfolgt werden können.

Was Bündnisse schafft

Die in Istanbul heftiger ausgetragenen Diskussionen über das angemessene Subjekt des 8. März sowie geeignete Bündnispartner*innen für Frauen- und Geschlechterpolitiken habe ich in meiner Studie als Beleg für einen lebendigeren Dialog und eine engere Beziehung zwischen den Bewegungen als in Berlin interpretiert. Als Gründe für die effektivere Bündnisbildung im Rahmen des 8. März können die ausgeprägtere Geschlechterungerechtigkeit, die politisch-ideologische gesellschaftliche Polarisierung, die staatliche Repression gegenüber zivilgesellschaftlichen Akteur*innen sowie die Stärke der (neuen) Sozialen Bewegungen in der Türkei genannt werden. Insbesondere die unterschiedlichen Rezeptionen des 8. März in der BRD und der DDR sowie die damit zusammenhängende negative bzw. ambivalente Bewertung des 8. März durch ältere frauen- und geschlechterpolitische Akteur*innen verkompliziert hingegen eine breite Bündnisbildung anlässlich des Internationalen Frauentags in Berlin.

Literatur

Binder, Charlotte (2017). Der Internationale Frauentag nach der Dekonstruktion von Geschlecht. Eine empirisch-qualitative Vergleichsstudie zu Bündnispolitiken im Rahmen des 8. März in Berlin und in Istanbul. Zugriff am 14.03.2019 unter https://elib.suub.uni-bremen.de/edocs/00105809-1.pdf.

Niederkofler, Heidi; Mesner, Maria & Zechner, Johanna (Hrsg.). (2011). Frauentag!: Erfindung und Karriere einer Tradition. Wien: Löcker.

Villa, Paula-Irene (2012). Judith Butler. 2. akt. Aufl. Frankfurt/M.: Campus.

Zitation: Charlotte Binder: Der 8. März als ‚Tag der Verbindung und der Solidarität‘ zwischen Frauen, in: blog interdisziplinäre geschlechterforschung, 05.03.2019, www.gender-blog.de/beitrag/der-8-maerz-als-tag-der-verbindung-und-der-solidaritaet-zwischen-frauen/, DOI: https://doi.org/10.17185/gender/20190305

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Dr. Charlotte Binder

Charlotte Binder forscht und lehrt als Wissenschaftliche Mitarbeiterin im Arbeitsbereich Interkulturelle Bildung an der Universität Bremen. Ihre Arbeitsschwerpunkte sind: Frauen- und Geschlechterforschung, Hochschulforschung, Soziale-Bewegungs-Forschung, Zeitgenössische Türkeiforschung und Qualitative Methoden.

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