18. Februar 2025 Daniela Rüther Sandra Beaufaÿs
Innerhalb der letzten zwei Jahrzehnte haben rechte Netzwerke und Parteien es geschafft, „Gender“ als Kampfbegriff zu etablieren und negative Aufmerksamkeit von Politik und Öffentlichkeit auf Geschlechterforschung, Gender und Queer Studies zu lenken. Daniela Rüther ist Historikerin an der Ruhr Universität Bochum. Sie hat gerade ein Buch veröffentlicht, in dem sie die Feindbilder der AfD historisch kontextualisiert und deren antidemokratische Strategien im Parlament analysiert: „Die Sexbesessenheit der AfD – Rechte im ‚Gender-Wahn‘“ (Rüther 2025).
Was hat Sie angetrieben, sich mit dem „Gender-Wahn“ der AfD zu beschäftigen?
Mein primäres Interesse waren die Taktiken und die Sprache, die die AfD in den Parlamenten verwendet. Ich habe festgestellt, dass es bislang ganz wenig zur Thematik des Agierens dieser rechtsautoritären Partei in den Parlamenten in Bezug auf das Thema Gender gibt (Bereswill et al. 2021; Mauer 2021). Da habe ich mir gedacht, das muss ich mir genauer anschauen. Als Historikerin habe ich mir die zentrale Frage gestellt: „Wo kommt das her?“. Ich bin dann darauf gestoßen, dass die NPD den „Anti-Genderismus" Anfang der 2000er-Jahre in die deutschen Parlamente getragen hat, als sie in Sachsen und in Mecklenburg-Vorpommern fast zehn Jahre in den Landtagen vertreten war. Und ich fand es frappierend zu sehen, wie die AfD heute genau die gleichen Taktiken und Strategien verwendet wie damals die NPD, die ja bekanntermaßen den Nationalsozialismus ganz offen verherrlicht hat.
Die AfD bringt exzessiv Anfragen und Anträge zum Thema Gender und Gender Studies ein, die die Parlamente beschäftigen, hat aber, wie Sie in Ihrem Buch schreiben, gar kein inhaltliches Interesse am Thema und letztlich auch kein Interesse an demokratischen Prozessen. Worum geht es ihr denn dann?
Man kann sagen, dass die AfD die Rolle einer Oppositionspartei im Parlament nicht wahrnehmen möchte. Eine Oppositionspartei hat die Aufgabe, die Regierung zu kontrollieren und auch an der politischen Willensbildung insgesamt mitzuwirken. Es findet vonseiten der AfD aber keine Mitwirkung statt, sondern es werden immer wieder dieselben Anträge eingebracht. Die Parlamente sind für die AfD eine Propaganda-Plattform. Es wird dasselbe immer wiederholt, Gegenargumente werden nicht aufgegriffen. Die Zielsetzung ist klar: Es geht darum, in den Parlamenten einen „Infosmog“ zu erzeugen, um demokratische Strukturen zu destabilisieren. Bezogen auf das Thema Gender geht es darum, emanzipatorische Erfolge rückgängig zu machen. Das betrifft nicht nur Frauen, sondern auch sexuelle Minderheiten. Die permanenten Wiederholungen und die Weigerung, sich mit Inhalten tatsächlich zu befassen, sind nicht neu. Dieses Vorgehen findet sich schon bei den Antifeministen im Kaiserreich (Planert 1996; Dohm 2021).
Man kann auch sehen, dass eine erprobte Strategie der Nationalsozialisten eingesetzt wird, nämlich, statistische Daten zu sammeln. Das ist ganz gefährlich, weil diese Datensammelei auch dazu dient, Gegner*innen zu identifizieren (Aly/Roth 2018). Gerade am Anfang, als die AfD in die Parlamente eingezogen war, hat sie sehr viel nach Zahlen, z. B. von Gender-Lehrstühlen, gefragt. Interessanterweise greift sie diese Angaben später aber gar nicht auf, sondern behauptet immer dasselbe Falsche. Also: Sie will nicht lernen, sondern sie möchte, dass sich durch stete Wiederholung ihre Falschbehauptungen in den Köpfen festsetzen. Und schließlich geht es der AfD auch darum, die Art des Umgangs in den Parlamenten so zu verändern, dass Parlamente zu Schießbuden herabgewürdigt werden. Die Abgeordneten der AfD kassieren die meisten Ordnungsrufe, es fehlt der Respekt für diese verfassungsrechtliche Institution. Es geht also auch darum, nicht nur den Diskurs zu verschieben, sondern die Kultur des Umgangs miteinander zum Schlechten hin zu verändern.
Sehen Sie Anzeichen dafür, dass solche Verschiebungen bereits stattgefunden haben?
Der Begriff der „Gendersprache“, ein Kampfbegriff aus dem rechten Spektrum, ist ein Zeichen dafür, wie diese Diskursverschiebung tatsächlich schon stattgefunden hat. Der Fachbegriff lautet gendersensible oder gendergerechte Sprache. Der Kampfbegriff „Gendersprache“ ist dermaßen in den allgemeinen Diskurs eingesickert, dass auch die Medien ihn als Fachbegriff verwenden, ohne kritisch zu hinterfragen, woher er eigentlich kommt. Gravierend ist, dass das Thema „gendergerechte Sprache“ zu einem Triggerpunkt gemacht worden ist (Mau/Lux/Westheuser 2023). Es löst eine Emotionalität aus, die in keinem Verhältnis zur Sache steht. Die Hetze hat schon dazu geführt, dass die niedersächsische Kultusministerin und ihre Familie mit dem Tode bedroht worden sind, weil sie für gendergerechte Sprache eingetreten ist. Das ist wirklich völlig absurd.
Man muss ja auch sagen, dass der Begriff „Gender“ sinnentleert verwendet wird, als ein leerer Behälter, in den alles hineingeworfen wird, was den rückwärtsgewandten Vorstellungen der AfD von Geschlechtlichkeit und Sexualität widerspricht: vermeintliche „Frühsexualisierung“, Homosexualität, Transsexualität, Gender Studies und so weiter. Das ganze „Gender-Thema“ ist ein gutes Beispiel dafür, dass die von der AfD intendierten Diskursverschiebungen in der Mitte der Gesellschaft angekommen sind. Die CDU hat den Begriff „Gendersprache“ in ihr Grundsatzprogramm aufgenommen und auch im Wahlprogramm der CDU/CSU für die Bundestagswahl ist er enthalten. Im Wahlprogramm der AfD habe ich ihn dagegen nicht mehr gefunden. Ich interpretiere das so, dass die AfD sich quasi zurücklehnen kann in diesem Punkt, weil andere Parteien das Thema übernommen haben. Jetzt wird hingegen zum Sturm geblasen gegen die Gender Studies, wie Alice Weidel in ihrer Rede auf dem Parteitag der AfD gezeigt hat.
Glauben Sie, dass in Bezug auf Gender Studies aus der Wissenschaft ein Rückhalt kommen könnte?
Gender Studies haben allgemein keinen großen Rückhalt. Leider tendiert die Wissenschaftspolitik dahin, Gender Studies eher wie ein Feigenblatt zu behandeln, wie man das ja auch an den Exzellenzinitiativen gesehen hat: An den Universitäten werden gerne Gender Studies eingerichtet, wenn es eine Voraussetzung für die Finanzierung anderer Forschungsbereiche ist. Der Evaluationsbericht des Wissenschaftsrats ist hingegen voller Lob und tendiert dahin, die Gender Studies auszuweiten auf Ingenieurwissenschaften und den naturwissenschaftlichen Bereich. Geschlechterforschung ist eine Querschnittsaufgabe, die einfach überall gefragt sein sollte. Das Kernproblem ist jedoch immer die Finanzierung. Es wird sehr viel auf Selbstausbeutung der Genderforscher*innen gesetzt und das ist natürlich keine Strategie für die Zukunft.
Es war ja immer eine Forderung der AfD, die Gender Studies evaluieren zu lassen…
Die Forderung nach Evaluation der Gender Studies war ein Teil der Kampfstrategie der AfD. Nachdem angekündigt worden war, dass der Wissenschaftsrat die Gender Studies evaluieren würde, habe ich festgestellt, dass die AfD offensichtlich sehr genau beobachtete, was da beim Wissenschaftsrat passierte. Sie begleitete die Evaluation durch den Wissenschaftsrat mit parlamentarischen Initiativen im Bundestag und versuchte unter anderem, einen politischen Einfluss von Geschlechterforscher*innen auf die Evaluation zu unterstellen. Außerdem fiel mir auf, dass die AfD schnell nochmal einen Antrag in den Bundestag einbrachte, nachdem die Einladung zum Pressegespräch herausgegangen war, bei dem der Wissenschaftsrat die Ergebnisse der Evaluation vorstellen wollte. Die AfD war überhaupt nicht interessiert an den Ergebnissen der Evaluation. Sie trachtete nur danach, die Gender Studies zu delegitimieren, wobei sie den Fokus erweiterte und auch Critical Whiteness Studies und Postcolonial Studies mit einbezog. Ich sehe dies als Zeichen für eine kumulative Radikalisierung (Mommsen 1976), also dafür, dass der Kreis der Verfolgten ausgeweitet wird.
Ähnlich viel Raum wird auch der Migrationsdebatte zugestanden. Hängt das eigentlich zusammen?
Ja, da möchte ich Judith Butler zitieren, die sagt: „Gender ist ein Migrant“ (Butler 2025). Es gibt eine direkte Verbindung zwischen dem Migrationsthema und der Gender-Thematik durch die Bevölkerungspolitik. Bevölkerungspolitik war schon immer Kern völkischer Bewegungen. Es ging immer um Mutterschaft und Bevölkerungsvermehrung, auch um ein „rassereines“ Volk, was automatisch bedingt, Menschen, die nicht dazu gehören sollen, auszuschließen. Ich sehe es so, dass im Begriff „Gender“ als Kampfbegriff der autoritären Rechten alle Gefährder*innen der intendierten Bevölkerungspolitik zusammengefasst sind: Geschlechterforschung, die untersucht, wie gesellschaftliche Ungleichheitsstrukturen entstehen und in der Geschichte entstanden sind, geschlechtersensible Sprache, die Geschlechtergerechtigkeit über die Sprache herstellen will, und natürlich alle nicht-heterosexuellen Lebensweisen. Das hat eine lange Geschichte. Immer ist pronatalistische Bevölkerungspolitik als Gegenbewegung gegen weibliche Emanzipationsbestrebungen forciert worden. Dies ist in allen völkischen Bewegungen zu beobachten. Den Anti-Liberalismus und Anti-Pluralismus der AfD, ihr rückwärtsgewandtes Bild von Geschlecht, von Geschlechterordnung, sehe ich historisch in einer Kontinuität zu völkischen Bewegungen. Es ist ein Backlash, der intendiert ist. Erfolge von Emanzipationsbestrebungen sollen rückgängig gemacht werden.
Literatur
Aly, Götz & Roth, Karl Heinz (2018). Die restlose Erfassung. Volkszählen, Identifizieren, Aussondern im Nationalsozialismus. Frankfurt/Main: Fischer E-Books.
Bereswill, Mechthild; Ehlert, Gudrun & Neuber, Anke (2021). Feindselige Anfragen. Die Nutzung eines parlamentarischen Instruments zur Diskreditierung der Geschlechterforschung. In Annette Henninger (Hrsg. u. a.), Mobilisierungen gegen Feminismus und ‚Gender‘. Erscheinungsformen, Erklärungsversuche und Gegenstrategien. GENDER, Sonderheft 6, S. 108–122. https://doi.org/10.3224/84742528.07
Butler, Judith (2025). Who’s Afraid of Gender? London: Penguin Books.
Dohm, Hedwig (2021). Die Antifeministen: Ein Buch der Verteidigung (Nachdruck der Originalausgabe von 1902, bearbeitete Ausgabe). Hamburg: Severus Verlag.
Mau, Steffen; Lux, Thomas & Westheuser, Linus (2023). Triggerpunkte: Konsens und Konflikt in der Gegenwartsgesellschaft. Berlin: Suhrkamp.
Mauer, Heike (2021). Nichts als Wahn und Ideologie? Rechtspopulistische Angriffe auf die Geschlechterforschung und die Politisierung von Geschlechterverhältnissen. In Kim Seongcheol & Veith Selk (Hrsg.), Wie weiter mit der Populismusforschung? Baden-Baden: Nomos, S. 271–292. https://doi.org/10.5771/9783748922773-271
Mommsen, Hans (1976). Der Nationalsozialismus. Kumulative Radikalisierung und Selbstzerstörung des Regimes. Sonderbeitrag. Sonderdruck aus Meyers Enzyklopädischem Lexikon, Bd. 16. Mannheim, Wien, Zürich: Bibliografisches Institut, S. 785–790.
Planert, Ute (1998). Antifeminismus im Kaiserreich. Diskurs, soziale Formation und politische Mentalität. Göttingen: Vandenhoeck und Ruprecht.
Rüther, Daniela (2025). Die Sex-Besessenheit der AfD: Rechte im „Genderwahn“. Bonn: Dietz.
Wissenschaftsrat (2023). Empfehlungen zur Weiterentwicklung der Geschlechterforschung in Deutschland. Köln. https://doi.org/10.57674/9z3k-1y81
Zitation: Daniela Rüther im Interview mit Sandra Beaufaÿs: In den Diskurs eingesickert: Der Antifeminismus der AfD, in: blog interdisziplinäre geschlechterforschung, 18.02.2025, www.gender-blog.de/beitrag/diskurs-antifeminismus-afd/, DOI: https://doi.org/10.17185/gender/20250218
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Kommentare
Petra Nabinger | 20.02.2025
Vielen Dank Frau Dr. Rüther für diese absolut ernüchternde Einordnung aktueller politischer Rückwärtstendenzen zum Feminismus. Es ist ein regelrechter Schockmoment für mich, Ihre Ausführungen zu lesen. Es ist sozusagen die wissenschaftlich fundierte Erklärung der derzeitigen Entwicklungen, die uns 100 Jahre zurückwerfen im Kampf um Chancengerechtigkeit. Welche Empfehlungen geben Sie, wenn sich die Wahlprognosen am 23.02.2025 bestätigen?
Danke für Ihren Beitrag und herzliche Grüße von
Petra Nabinger
Anne Schlüter | 23.02.2025
Danke für die wichtige Analyse.