15. Oktober 2019 Sabine Sczesny
Psychologische Forschung hat in den vergangenen Jahrzehnten intensiv untersucht, wie sich der Gebrauch von Sprache auf die Sichtbarkeit von Frauen und Männern auswirkt, mit Folgen für deren Selbstbeurteilung und Beurteilung durch andere. Seit vielen Jahrzehnten wird in Deutschland immer wieder, oft sehr unsachlich, über die Verwendung geschlechtergerechter Sprache diskutiert. Bedauerlicherweise finden die umfangreichen Forschungsergebnisse jedoch in den öffentlichen Diskussionen kaum Beachtung.
Das generische Maskulinum
Deutsch ist eine Sprache mit grammatischem Geschlecht (Genus). Die Unterscheidung von femininen, maskulinen und neutralen Bezeichnungen ist ein wesentliches Merkmal der Sprachstruktur und macht es fast unmöglich, über Personen zu sprechen, ohne auf Geschlecht Bezug zu nehmen. In anderen Sprachen, wie beispielsweise Englisch oder Türkisch, ist die Kategorie Geschlecht dagegen in der Grammatik viel weniger oder gar nicht verankert. Darüber hinaus werden in der deutschen Sprache maskuline Formen nicht nur verwendet, um Männer zu bezeichnen, sondern auch für gemischtgeschlechtliche Gruppen oder Gruppen von Menschen mit unbekanntem oder nicht spezifiziertem Geschlecht (z. B. „einige Schüler“ für eine Gruppe von männlichen und weiblichen Schülern). Diese Verwendung maskuliner Formen wird als „generisches Maskulinum“ bezeichnet. Obwohl es auf den ersten Blick schlicht ökonomisch erscheinen mag, beide Geschlechter unter dem generischen Maskulinum zusammenzufassen, trägt dieser Gebrauch nachweislich zur sozialen Diskriminierung von Frauen und zur Aufrechterhaltung von Geschlechtsstereotypen bei (Sczesny, Formanowicz & Moser 2016).
Negative Folgen eines maskulinen Sprachgebrauchs
Psychologische Forschung hat immer wieder belegt, dass die Verwendung maskuliner Formen die mentale Repräsentation von Personen beeinflusst: Lesende und Zuhörende denken bei diesen Formulierungen vermehrt an Männer (Stahlberg, Braun, Irmen & Sczesny 2007). Das Ungleichgewicht in der mentalen Repräsentation von Frauen und Männern hat gravierende Folgen. Wird beispielsweise in einer Meinungsumfrage nach geeigneten Personen für ein hohes politisches Amt gefragt, so werden Männer mit höherer Wahrscheinlichkeit vorgeschlagen und Frauen mit geringerer, wenn die Frage in der maskulinen Form gestellt wird („Kanzler“) als in der Beidnennung („Kanzler/Kanzlerin“, vgl. Stahlberg & Sczesny 2001). Auch vermuten Mädchen, weniger erfolgreich in männlich dominierten Berufen zu sein, wenn der Beruf in der maskulinen Form bezeichnet wird (z. B. „Ingenieur“), als wenn die Beidnennung verwendet wird (z. B. „Ingenieurinnen und Ingenieure“; Vervecken, Hannover & Wolter 2013). Diese und viele andere Studien zeigen, dass unsere Sprachwahl, ob bewusst oder unbewusst, die Art und Weise beeinflusst, wie wir über uns selbst und andere denken – und dass der Sprachgebrauch sogar die Vorstellungen unserer Kinder über Berufe und ihren möglichen späteren Berufserfolg beeinflussen kann.
Vorteile geschlechtergerechter Sprache
Geschlechtergerechte Sprache wurde in Reaktion auf das Ungleichgewicht in der Sprache eingeführt, um die beschriebenen Nachteile zu reduzieren und Chancengleichheit zu fördern. Dabei werden z. B. maskuline Formen durch geschlechtsneutrale Wörter ersetzt (z. B. „die Leser“ durch „die Lesenden“) oder sowohl maskuline als auch feminine Formen genannt („der Bewerber/die Bewerberin“). So gibt der Duden seit den 1990er-Jahren sowohl die maskuline als auch die feminine Form von Personenbezeichnungen an und zahlreiche öffentliche Institutionen sehen geschlechtergerechte Formulierung in ihren Texten vor (z. B. die Stadtverwaltung Nürnberg, die Universität Köln, das Land Baden-Württemberg).
Die Forschung bestätigt, dass geschlechtergerechte Sprache die angestrebten positiven Wirkungen hat. So nehmen Kinder mit größerer Wahrscheinlichkeit an, dass Frauen in einem Männerberuf ebenso erfolgreich sind wie Männer, wenn der Beruf in Beidnennung („Polizist/Polizistin“) bezeichnet wird (Verwecken et al. 2013). Selbst Jungen sind zuversichtlicher, die nötigen Fähigkeiten für einen Männerberuf zu besitzen, wenn dieser in Beidnennung beschrieben wird (Vervecken & Hannover 2015). Wirtschaftstudentinnen zeigen sich stärker an einem Training für den „Unternehmer von morgen“ interessiert, wenn die Werbung sich an „Unternehmer und Unternehmerinnen von morgen“ richtet (Hentschel, Horvath, Peus & Sczesny 2018). Auch können Ausschreibungen, die Frauen ausdrücklich einschließen, Bewerberinnen den Zugang zu statushohen Führungspositionen erleichtern. Ist eine hohe Führungsposition nämlich geschlechtergerecht ausgeschrieben, so ist die Bereitschaft, Männer und Frauen einzustellen, gleichermaßen hoch („Geschäftsführer/Geschäftsführerin“; Horvath & Sczesny 2016), was bei maskuliner Ausschreibung nicht der Fall ist. Somit eröffnet die explizite Einbeziehung von Frauen in Kombination mit Neutralisierungen (z. B. „die Beschäftigten“) vielfältige Möglichkeiten, Diskriminierung und Stereotype erfolgreich zu reduzieren.
Von der Ablehnung zur Gewohnheit
Seit einigen Jahren werden weitere Ansätze geschlechtergerechter Formulierung erprobt, zumindest in schriftlichen Texten: Gender gap («Professor_innen») und Gender-Sternchen («Professor*innen») sollen darauf aufmerksam machen, dass nicht alle Menschen sich in eine simple Dichotomie weiblich/männlich einordnen können oder wollen (z. B. Transsexuelle). Die Lücke im Schriftbild bzw. das Sternchen sollen signalisieren, dass auch sie einbezogen sind. Forschung zur Wirkung dieser Schreibweisen steht noch aus.
Die mitunter heftigen negativen Reaktionen auf geschlechtergerechte Sprache können durch sexistische Überzeugungen erklärt werden (Sczesny, Moser & Wood 2015): Personen, die eine traditionelle Rollenverteilung zwischen Frauen und Männern oder der Meinung sind, dass es gar keine Diskriminierung von Frauen gibt, verwenden mit geringerer Wahrscheinlichkeit geschlechtergerechte Sprache; dagegen stehen Personen mit einer progressiveren Einstellung einem solchen Sprachgebrauch positiver gegenüber. Aber auch bisherige Sprachgewohnheiten halten Sprecherinnen und Sprecher davon ab, geschlechtergerechte Sprache zu verwenden.
Der Einstieg in den Gebrauch geschlechtergerechter Sprache erfordert gerade zu Beginn bewusste Anstrengungen und Übung. Wenn geschlechtergerechte Sprache jedoch eingeübt und zur Gewohnheit geworden ist, führt sie zu einer genaueren Beschreibung von Situationen und beteiligten Personen. Sie vermittelt ein offeneres, diverseres Bild von Organisationen und Gesellschaft. Wenn geschlechtergerechte Sprache im Alltag, auch in den Medien, weit verbreitet ist, wird sie selbstverständlich, was langfristig auch zu einer Beruhigung der Debatte führen dürfte.
Weiterführende Informationen zum Thema:
https://www.euresearch.ch/fileadmin/redacteur/Media/2012_06_ITNLCG_MarieCurie_Web.pdf
Literatur
Hentschel, T., Horvath, L. K., Peuss, C., & Sczesny, S. (2018). Kick-Starting Careers: Attracting Female Applicants to Entrepreneurship Programs. Journal of Personnel Psychology, 4, 193–203. https://doi.org/10.1027/1866-5888/a000209
Horvath, L. K., & Sczesny, S. (2016). Reducing women’s lack of fit with leadership? Effects of the wording of job advertisements. European Journal of Work and Organisational Psychology, 25, 316-328. https://doi.org/10.1080/1359432X.2015.1067611
Sczesny, S., Formanowicz, M., & Moser, F. (2016). Can gender-inclusive language reduce gender stereotyping and discrimination? Frontiers in Psychology, 7: 25. https://doi.org/10.3389/fpsyg.2016.00025
Sczesny, S., Moser, F., & Wood, W. (2015). Beyond sexist beliefs: How do people decide to use gender-inclusive language? Personality and Social Psychology Bulletin, 41, 943-954. https://doi.org/10.1177/0146167215585727
Stahlberg, D., Braun, F., Irmen, L., & Sczesny, S. (2007). Representation of the sexes in language. In K. Fiedler (Ed.), Social communication. A volume in the series Frontiers of Social Psychology (pp. 163-187) (Series Editors: A. W. Kruglanski & J. P. Forgas). New York: Psychology Press.
Stahlberg, D., & Sczesny, S. (2001). Effekte des generischen Maskulinums und alternativer Sprachformen auf den gedanklichen Einbezug von Frauen. Psychologische Rundschau, 52, 131-140. https://doi.org/10.1026//0033-3042.52.3.131
Vervecken, D., Hannover, B., & Wolter, I. (2013). Changing (s)expectations: how gender-fair job descriptions impact children’s perceptions and interest regarding traditionally male occupations. J. Vocat. Behav. 82, 208–220. https://doi.org/10.1016/j.jvb.2013.01.008
Vervecken, D., & Hannover, B. (2015). Yes I can! Effects of gender fair job descriptions on children’s perceptions of job status, job difficulty, and vocational self-efficacy. Soc. Psychol. 46, 76–92. https://doi.org/10.1027/1864-9335/a000229
Zitation: Sabine Sczesny: Wieso muss das sein?! Zum Nutzen geschlechtergerechter Sprache, in: blog interdisziplinäre geschlechterforschung, 15.10.2019, www.gender-blog.de/beitrag/nutzen-geschlechtergerechter-sprache/, DOI: https://doi.org/10.17185/gender/20191015
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