08. August 2023 Katrin Degen Jennifer Degner-Mantoan
Im Ringen um kulturelle Hegemonie greifen (extrem) rechte Akteur*innen auch auf pädagogische, sowie geschlechter- und bildungspolitische Themen zurück. Sie diffamieren emanzipative und auf Diversität ausgerichtete Ansätze und formulieren Gegenentwürfe – weltweit. Der Bedarf an internationalem und interdisziplinärem Austausch ist daher groß. Zu diesem Anlass trafen sich Anfang Mai 2023 ca. 160 Personen aus unterschiedlichen Fachrichtungen an der Europa-Universität Flensburg, die zusammen mit dem Zentrum für Bildungs-, Unterrichts, Schul- und Sozialisationsforschung und dem Gender-Netzwerk der EUF zur internationalen Tagung „Pädagogik und Geschlecht als Gegenstand politischer Kämpfe“ einlud. An drei aufeinanderfolgenden Tagen regten unterschiedliche Vortrags- und Austauschformate zur Diskussion über rechte, antifeministische und rassistische Diskurse an.
Rechte Konstruktionen von Frau, Mann und Kind
Schon der einführende Beitrag von Meike Baader zu „Erziehung, Bildung und Geschlechterpolitik der Neuen Rechten“ öffnete das breite Themenspektrum, das die Teilnehmenden im Laufe der folgenden Tage beschäftigen sollte. Neben dem Austausch zu unterschiedlichen Kinderbildern standen vor allem Fragen rund um Kontinuität und/oder Wandel innerhalb (extrem) rechter, antifeministischer und rassistischer Diskurse im Mittelpunkt der Diskussion.
Hier schloss auch das erste Panel zu Konzepten einer Pädagogik sexueller Vielfalt als wichtiger Kampfplatz um eine vermeintlich natürliche Geschlechterordnung an. Die zunehmenden Angriffe auf geschlechtliche und sexuelle Vielfalt können als neue Form der Externalisierung sexualisierter Gewalt gedeutet werden, erklärte Judith Goetz. Das Bild des unschuldigen, beeinflussbaren Kindes werde genutzt, um die Ablehnung geschlechtergerechter Sprache und anderer geschlechtssensibler Maßnahmen zu rechtfertigen, worauf Gwenaelle Perrier näher einging.
Gleichzeitig werden in nationalistischen, islamistischen und familistischen Diskursen die nationale Einheit, patriarchale Strukturen und Kindeswohl in eins gesetzt, so Funda Hülagü. In postkolonialen Kontexten zeigt sich zusätzlich ein Wandel hegemonialer Männlichkeitsbilder, die in einem heroischen Männlichkeitsideal und männlicher Vergemeinschaftung zum Ausdruck kommen, was Rajni Palriwala näher erläuterte.
Deutlich wurde am ersten Tag, dass antifeministische Akteur*innen über transnationale Kontexte hinweg ähnliche Argumentationen nutzen, in deren Zentrum eine vermeintlich natürliche, heteronormative Geschlechterordnung steht und die als Reaktion auf aktuelle (neo)liberale Entwicklungen verstanden werden können.
Neokonservative Einflussnahmen und rechte Netzwerke
Der zweite Tagungstag startete mit einem Vortrag von Andrea Pető, die anhand des Begriffs des ‚polypore state‘ staatlich getragene antifeministische Angriffe auf die Gender Studies als Angriffe auf die Wissenschaftsfreiheit im Allgemeinen problematisierte. Geschlechtliche und sexuelle Vielfalt seien dabei nur Stellvertreter im neokonservativen Diskurs, der liberale Demokratien und ihre Werte ablehne. Pető eröffnete dabei auch Perspektiven des Widerstands durch kollektiv geteilte Geschichten und alternative Zukunftsnarrative.
In den anschließenden Paneldiskussionen und im Rahmen der Posterpräsentation wurde die große Bandbreite der methodischen und disziplinären Zugänge zum Tagungsthema deutlich. So richtete Andreas Kemper aus akteur*innen- und netzwerkzentrierter Perspektive den Blick auf die dominante Beteiligung unterschiedlicher Adelsfamilien in antipluralistischen und (extrem) rechten Bewegungen. Jennifer Degner-Mantoan zeigte die enge Verkettung von unterschiedlichen Beteiligten der sogenannten Männerrechtsbewegung. Heike Mauer betrachtete antifeministische Verschwörungsnarrative in Bildungskontexten als Anzeichen einer zunehmenden Verunsicherung im Zuge der Politisierung von vermeintlich Alltäglichem wie bspw. der Dimensionen und Geschlecht und Sexualität.
Lukas Dintenfelder verwies auf die Rolle von Schule und (Sozial-)Pädagogik als aktuelle Schauplätze und Gegenstände antidemokratisch-rechter Diskurse. Anhand qualitativer Interviews ordneten Johanna Sigl und Juliane Lang sowie Esther Lehnert und Lucia Bruns die Bedeutung von Geschlecht in sozialpädagogischen Kontexten (Sigl/Lang) bzw. im Hinblick auf rechte Gewalt als wirkungsmächtige Kategorie (Lehnert/Bruns) ein. Im Rahmen theoretischer Suchbewegungen ging Christopher Fritzsche der Frage zur Entstehung antifeministischer Einstellungen aus psychoanalytischer Perspektive nach. Außerdem problematisierte Sophie Schmitt die häufig fehlende pädagogische Begleitung von Jugendlichen und jungen Erwachsenen bei Konflikten um Macht, Verteilung und Anerkennung.
Diskursive Aushandlungen und Koalitionen
Diskursanalytische Zugänge ermöglichten die Untersuchung aktueller Deutungskämpfe um das Phänomen der Queerfeindlichkeit (Julian Sehmer und Stefanie Simon), welches sich unter anderem derzeit in neuer Heftigkeit in den Mobilisierungen gegen die Rechte von trans Personen zeigt (Klemens Ketelhut und Elija Horn), oder auch die Rekonstruktion von Un_Sagbarkeitsordnungen, von Frauke Grenz am Beispiel des Unsagbarwerdens von ‚sexueller Vielfalt‘ im baden-württembergischen Bildungsplan durchgeführt.
Darüber hinaus waren die Vereinnahmung feministischer Themen zur Bildung von Diskurskoalitionen am Beispiel des Rassemblement National (Ewelina Pepiak) und die antifeministische und familistische Inszenierung sogenannter Traditional Wives (#Tradwife) in Sozialen Netzwerken (Viktoria Rösch) Thema.
Christine Thon zeichnete die diskursiven Verhandlungen des Erziehungsbegriffs innerhalb der (extremen) Rechten nach, welcher dort in Abgrenzung zu gesamtgesellschaftlichen Debatten als untrennbar verwoben mit einem naturalistischen Verständnis von Familie betrachtet wird. Ece Kaya zeigte die Kontinuität antifeministischer und (kolonial-)rassistischer Diskurse exemplarisch am (extrem) rechten Terminus des Ethnopluralismus.
Am späten Nachmittag dieses Tages luden Hannah Engelmann-Gith, Frauke Grenz und Susanne Maurer außerdem zu einem im Kontext des Tagungsgegenstandes sehr relevanten und gleichzeitig vernachlässigten Thema ein: In einem angeleiteten Workshop konnten sich Forschende über Emotionen und mögliche Strategien im Umgang mit Material, das menschenfeindliche Inhalte reproduziert, austauschen.
Die Rolle einer kritischen Sozialwissenschaft
Der dritte Tagungstag startete mit einer Podiumsdiskussion zum Umgang mit pädagogischen Diskursen von rechts und wie Stellung dagegen bezogen werden kann. Werner Thole, Sarah Meyer, Severin Sales Rödel und Sieglinde Jornitz ordneten hierzu zunächst am zentralen Beispiel des extrem rechten Ratgebers „Wir erziehen“ (Sommerfeld 2019) rechte Theoriebildung in den Kontext allgemeiner pädagogischer Debatten ein, um anschließend über die Rolle einer sich als kritisch verstehenden Sozialwissenschaft im Umgang mit solchen Vereinnahmungsstrategien zu diskutieren. Die Teilnehmenden waren sich darin einig, dass es sich bei dem Buch um ein metapolitisches Projekt der Neuen Rechten handelt, bei dem weniger die inhaltliche Argumentation als vielmehr die diskursive Setzung im Vordergrund steht. Die zunehmende Vernachlässigung historischer Kontextualisierung und Rekonstruktion der Gewordenheit pädagogischer Ansätze schaffe dabei eine Leerstelle, die die Neue Rechte für sich nutzen könne. Die aktuelle Konjunktur rechter Positionen auch in pädagogischen Kontexten müsse nun als Ausgangspunkt zur kritischen Reflexion über die ideologische Basis des eigenen pädagogischen Handelns dienen.
Ein Aufruf zur Reflexion und Intervention
Beschlossen wurde die Tagung mit einem Panel zu (Anti-)Feminismus und Rassismus als Narrative der Gegenwart. Rebekka Blum legte dar, dass Antifeminismus als eigenständige Ideologie zu werten sei. Nur so könnten die breiten Mobilisierungen gegen körperliche, sexuelle und reproduktive Selbstbestimmung gefasst werden, ohne den von vornherein durch den exklusiven Charakter weißer* feministischer Strömungen verengten Blick auf die Thematik. Paul Mecheril und Veronika Kourabas schlossen mit einem Beitrag zu Konjunkturen des (Nicht-)Sprechens über Rassismus in Deutschland an. Dem hegemonialen Status von rassistischem Wissen als Wahrheit stellten sie das Wissen rassismuserfahrener Subjekte im Sinne eines spezifisch migrantisch situierten Wissens gegenüber, in welchem sich Strategien und Praktiken der Widerständigkeit gegenüber den hegemonialen Wissensvorräten manifestierten. Diese Ãœberlegungen zur Verschiebung in der Sagbarkeit von Rassismus aufgreifend, entließ Encarnación Gutiérrez RodrÃguez die Tagungsteilnehmenden mit Anregungen für eine tiefergehende Auseinandersetzung und Reflexion in der Wissenschaft.
Zitation: Katrin Degen, Jennifer Degner-Mantoan: Die (extreme) Rechte und die Pädagogik – ein fachlicher Austausch in Flensburg, in: blog interdisziplinäre geschlechterforschung, 08.08.2023, www.gender-blog.de/beitrag/extreme-rechte-und-paedagogik/, DOI: https://doi.org/10.17185/gender/20230808
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Kommentare
Katharina Tolle | 08.08.2023
Danke für den ausführlichen Bericht!
Die Politisierung von vermeintlich Alltäglichem habe ich auch bemerkt, als vor Kurzem die Suchanfrage "ist Stillen rechtsradikal" viele Leser*innen auf meinen Blog führte.
Ich habe daraufhin einen entsprechenden Meinungsbeitrag geschrieben: ichgebaere.com/ist-stillen-rechtsradikal/
Beste Grüße!