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Demokratie zum Mitmachen – Wiener Ausstellung zu 100 Jahren allgemeines Wahlrecht

29. Juli 2019 Heike Mauer

Mit interaktiven Elementen feiert die Ausstellung „Sie meines es politisch!“ im Volkskundemuseum Wien den 100. Geburtstag des allgemeinen Wahlrechts für Frauen und Männer in Österreich. Die sehenswerte, von Remigio Gazzari, Veronika Helfert, Corinna Oesch und Johanna Zechner kuratierte Ausstellung widmet sich den politischen Folgen dieses wichtigen Ereignisses. Sie ist Teil des Kooperationsprojektes www.frauenwahlrecht.at, in dessen Rahmen nicht nur eine Begleitpublikation, sondern auch eine mobile Wahlzelle entstanden ist, die als Wanderausstellung derzeit durch Österreich reist und um Exponate der regionalen Geschlechter- und Demokratiegeschichte ergänzt wird.

Nachbau des Parlaments
© kollektiv fischka/kramarCaptionCaption

 

In der Ausstellung selbst erzählen kleine Post-Its die Biografien zahlreicher bekannter und weniger bekannter Frauenrechtlerinnen, Politikerinnen und Pionierinnen (und einiger ihrer männlichen Unterstützer). Diese wurden thematisch arrangiert und können in der gesamten Ausstellung in Zettelform gesammelt werden – zur Mitnahme liegen Briefkuverts bereit. Vorgestellt werden etwa die Revolutionärin von 1848 Karoline von Perin-Gradenstein (1806–1888) oder Johanna Weiss (1874–1932), Vorsitzende des Verbandes christlicher Haushaltsgehilfinnen, die sich in der Zwischenkriegszeit gemeinsam mit den ersten Parlamentarierinnen für die Rechte von ‚Dienstmädchen‘ einsetzte. Die „Galerie der Ersten“ präsentiert ebenfalls Pionierinnen des Politischen – etwa die erste Bürgermeisterin der Zweiten Republik, Maria Rothschädl (1921–1985), die erste Parteigründerin, Elfriede Eilser-Friedländer (1895–1961), die erste Bundesministerin, Grete Rehor (1910–1987), und natürlich Johanna Dohnal (1939–2010), die erste Frauenministerin der Zweiten Republik, unter deren Ägide das Gleichstellungsgesetz verabschiedet wurde.

Bis heute aktuell: die Demokratisierung der Geschlechterverhältnisse …

Ihren Aktualitätsbezug unterstreicht die Ausstellung gleich in mehrfacher Hinsicht: Die behandelten Themen beschränken sich weder auf die historischen Entwicklungen, die zur Durchsetzung des allgemeinen Wahlrechts für Frauen und Männer geführt haben, noch auf deren unmittelbare Folgen. Die Ausstellung widmet sich u. a. dem Kampf für Lohngerechtigkeit und der Gewerkschaftsbewegung, der Trennung zwischen Öffentlichem und Privatem, der Zweiten Frauenbewegung und deren politischem Einfluss, der Situation von zugewanderten Frauen sowie den Erfahrungen von Parlamentarierinnen im Nationalrat. Dies zeigt, dass die Herstellung von politischer Gleichheit zwischen den Geschlechtern mit der Einführung des allgemeinen Wahlrechts keineswegs erreicht ist, sondern damit lediglich ein erster Schritt für eine geschlechtergerechte Demokratie getan ist.

Nähmaschine
© kollektiv fischka/kramarCaption

 

Zugleich thematisiert die Ausstellung auch politische Ungleichheiten und Hierarchien zwischen Frauen: In Österreich waren Prostituierte bis 1920 vom Wahlrecht ausgeschlossen – und bis heute löst das Wahlrecht von Sexarbeiter_innen aus EU-Staaten auf lokaler Ebene kommunalpolitische Debatten aus (vgl. Helfert 2019). Hier wird Geschlecht als eine bedeutende politische Kategorie intersektional konzeptionalisiert, sodass einer erneuten Versämtlichung von Frauen (und Männern) entgegengewirkt wird. Weiter aufgegriffen wird der Intersektionalitätsgedanke auch in Bezug auf Staatsbürger_innenschaft als Voraussetzung für den Zugang zur Wahlurne. Die Vergeschlechtlichung von Staatsbürger_innenschaft (als Abstammungs- oder Territorialprinzip, abhängig oder unabhängig von Ehestand und Modalitäten der Einbürgerung) bildet ebenfalls eine Achse der Differenz zwischen Frauen.

… und die geschlechtergerechte Gestaltung der Demokratie als ‚Work in Progress‘

Immer wieder dürfen die Besucher_innen der Ausstellung auch selbst über kontroverse demokratietheoretische Fragen abstimmen – etwa über das Wählen ohne Staatsbürgerschaft (vgl. Dormal 2016) oder die Frage verbindlicher Frauenquoten in Parlamenten. Hierzu stehen in den Ausstellungssälen durchsichtige Wahlurnen sowie grüne und rote Stimmkarten bereit. Zudem sind einige der Exponate begehbar – etwa eine Wahlkabine, ein Nachbau der Abgeordnetenplätze sowie der Säulengang des Parlaments (vgl. Foto oben), in dem alle Regierungskabinette der Nachkriegszeit präsentiert werden. Um das ungleiche Repräsentationsverhältnis zwischen den Geschlechtern (und seine langsame Veränderung) deutlich zu machen, sind die Frauen optisch in Farbe hervorgehoben. Dabei verweisen die simplen Konstruktionen aus Holzlatten und Pressspan, aus denen die begehbaren Exponate gestaltet sind, auf die Vorläufig- und Prozesshaftigkeit von (Geschlechter-)Demokratie als einem ‚Work in Progress‘ jenseits der normativen Ideale politischer Theorie.

Karrikatur "Die Volksvertreterin"
Die Wespen" vom 13.11.1907

Bereits das titelgebende Zitat der Ausstellung von Karl Kraus – „Sie meinen es politisch!“ –, in dem dieser polemisch die Forderung erhebt, dass aufgrund der Beteiligung von Frauen am Politischen nun auch Männern „endlich die Menstruation gestattet“ werden müsse, macht ex negativo deutlich, dass die Demokratisierung der Geschlechterverhältnisse nicht ohne die Demokratisierung des Privaten möglich ist. Allerdings ist die Körpergeschichte der Demokratie, die diese Dimensionen systematisch einfängt, bislang noch nicht umfassend erzählt worden. Auch die politische Karikatur „Die Volksvertreterin“ aus dem Jahr 1907, in der eine feine Dame mit Fliege und Kleid sich im Gehen an ihren mit einem Kleinkind sichtlich überforderten Gatten mit den Worten zurückwendet „Ich muss jetzt in’s Parlament. Bade einstweilen das Kind und ziehe ihm reine Wäsche an“, zeugt davon, dass die vergeschlechtlichte Zuweisung von Sorgeverpflichtungen und die Unterscheidung des ‚Öffentlichen‘ und des ‚Privaten‘ wichtige Begründungsfunktionen für den Ausschluss von Frauen aus der Sphäre des Politischen erfüllen. Indem das Kind den hilflosen Vater an den Haaren zieht und schreit, während die Milchflasche zu Boden fällt, wird suggeriert: Sobald die Frau das Heim verlässt und das Parlament betritt, zerstört sie die Familie und die soziale Reproduktion. Dass dieser Gedanke bis heute nicht gänzlich überwunden wurde, zeigt die Aufregung um die Nationalratsabgeordnete Christine Heindl, die Anfang der 1990er-Jahre ihren Säugling im Parlament stillte. Die – damals noch postalisch versendete – Hasspost bezeugt die öffentliche Resonanz, die dieser ‚Skandal‘ auslöste. Bis heute wird vergeschlechtlichte Körperlichkeit für die Marginalisierung von Politikerinnen und die Aufrechterhaltung männlicher politischer Herrschaft angerufen. Zugleich zeigen die Videosequenzen, in denen Christine Heindl und ihre Mitstreiterinnen auf die Ereignisse zurückblicken, wie politisch das Private bis heute geblieben ist und dass die Verwirklichung von Geschlechterdemokratie Institutionalisierungs- und Bewegungsprozesse miteinander vereint sowie staatliches und aktivistisches Handeln verbindet.

Informationen

„Sie meinen es politisch!“ 100 Jahre Frauenwahlrecht in Österreich
08.03.2019 bis 25.08.2019
Volkskundemuseum Wien
Laudongasse 15–19
1080 Wien, Österreich
Tel.: +43 1 406 89 05
office@volkskundemuseum.at
www.volkskundemuseum.at

Öffnungszeiten

Dienstag bis Sonntag: 10:00 bis 17:00 Uhr
Donnerstag: 10:00 bis 20:00 Uhr

Eintrittspreise:

Erwachsene: 8 Euro/ermäßigt 6 bzw. 4 Euro

Literatur

Dormal, Michel (2016): Wählen ohne Staatsbürgerschaft? Das Ausländerwahlrecht in der demokratietheoretischen Diskussion. In: Politische Vierteljahresschrift, 57 (3), 378–402.

Helfert, Veronika (2019): Die Sittlichkeit der Staatsbürgerin. Zum Zusammenhang von Sittlichkiet und Geschlecht im Wahlrecht für die Konstituierende Nationalversammlung. In: Blaustrumpf ahoi! (Hrsg.), „Sie meinen es politisch!“ 100 Jahre Frauenwahlrecht in Österreich: Geschlechterdemokratie als gesellschaftspolitische Herausforderung. Wien: Löcker Verlag, 125–137.

Zitation: Heike Mauer: Demokratie zum Mitmachen – Wiener Ausstellung zu 100 Jahren allgemeines Wahlrecht, in: blog interdisziplinäre geschlechterforschung, 29.07.2019, www.gender-blog.de/beitrag/frauenwahlrecht_wien/

Beitrag (ohne Headergrafik) lizensiert unter einer Creative Commons Namensnennung 4.0 International Lizenz Creative Commons Lizenzvertrag

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Dr. Heike Mauer

ist Politikwissenschaftlerin und forscht an der Koordinations- und Forschungsstelle des Netzwerks Frauen- und Geschlechterforschung NRW an der Universität Duisburg-Essen zu Hochschule und Gleichstellung. Von 2016-2021 war sie eine der Sprecher*innen der Sektion 'Politik und Geschlecht' in der DVPW. Für ihre Forschungen zu Intersektionalität, Rechtspopulismus und Antifeminismus ist ihr 2019 der Preis für exzellente Genderforschung des Landes NRW verliehen worden.

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Kommentare

Dr. Kerstin Wolff | 13.08.2019

Danke Frau Mauer für ihre Besprechung. Auch ich kann zum Besuch der Ausstellung in Wien nur ermuntern. Sie ist gut aufbereitet und spannend gestaltet. Allerdings muss ich gestehen, dass ich mir für diese wichtige Ausstellung einen repräsentativeren Ort in Wien gewünscht hätte und auch etwas mehr Budget für die Macher*innen. Denn es entsteht beim Besuch doch der Eindruck, dass das Thema 100 Jahre Frauenwahlrecht nicht den Platz (und die finanziellen Mittel) bekommen hat, das ihm zusteht. Dies ist eine Kritik, die sich definitiv nicht an die richtet, die die Ausstellung gemacht haben, sondern an die offiziellen Stellen, die für die Finanzierung zuständig sind .

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