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Interview

„ … bereits die Gründung eines Frauenkollektivs ist außerordentlich politisch!“

12. Oktober 2021 Peng Jazzkollektiv Uta C. Schmidt

Das PENG Jazzkollektiv veranstaltet nicht nur Festivals und kuratiert Jazzprogramme mit Musiker:innen, sondern verbindet mit seiner Arbeit einen umfassenden gesellschaftskritischen Anspruch. Im Interview mit Uta C. Schmidt erklärt es die Zusammenhänge von Feminismus, Antirassismus und Antikapitalismus.

Was ist das Peng Jazzkollektiv?

PENG e. V.  ist ein Kollektiv, bestehend aus insgesamt sieben Musikerinnen von der Folkwang-Universität der Künste in Essen: Barbara Barth, Marie Daniels, Rosa Kremp, Maika Küster, Mara Minjoli, Christina Schamei und Johanna Schneider. Unser Ziel ist eine größere Präsenz und Akzeptanz von Frauen im Jazz und von Musikerinnen in der Gesellschaft. Die Stadt Essen im Herzen des Ruhrgebiets haben wir bewusst als Wirkstätte gewählt. Uns sieben Folkwänglerinnen ist es ein besonderes Anliegen, die Kulturszene der Stadt zu fördern und zu beleben. Ausgehend von dort sollen die Wahrnehmung von Frauen im Jazz und in der improvisierten Musik durch unser sich entwickelndes Netzwerk gestärkt werden und langfristig eine Vernetzung über die Landesgrenzen NRWs hinaus ins übrige Bundesgebiet hinein stattfinden.

Warum brauchen Frauen im Jazz eine besondere Förderung? Wie artikuliert sich das Patriarchat speziell im Jazz?

Wir waren auf sehr vielen Jazzfestivals unterwegs und uns ist aufgefallen, dass Frauen in den bestimmenden Positionen sehr viel weniger präsent waren als Männer: als Künstlerinnen auf der Bühne, als Veranstalterinnen, Technikerinnen oder Kuratorinnen. Dasselbe gilt für Labels oder die musikalische Ausbildung. Wenn Frauen auf der Bühne vertreten waren, dann meist in der Rolle der Jazzsängerin – weniger als Instrumentalistin oder Bandleaderin. Wir wissen, dass es sie gibt! Sofort fallen männliche Instrumentalisten im Jazz ein, aber kaum eine Instrumentalistin. Das hat sich in den letzten Jahren zwar etwas gewandelt, aber in der Tradition des Jazz sind es doch fast ausschließlich Männer, die Jazzbands ausmachen.

Es muss mir doch jemand vorleben, dass Mädchen* nicht nur Geige wie Anne-Sophie Mutter spielen, sondern auch auf dem Saxophon improvisieren können …

Vorbilder sind wichtig, um auf die Idee zu kommen, dass auch eine Frau Trompete, Tuba, Schlagzeug oder Kontrabass spielen kann und dass es auch im Jazz Plätze gibt, an denen Frauen arbeiten können und respektiert werden.

Wo ist eure Musik, eure Arbeit politisch? Oder versteht ihr euch als Musikerinnen politisch?

Als wir unser Kollektiv gegründet haben, haben wir dies nicht als politischen Akt empfunden. Aber wir wurden als politisch wahrgenommen, denn bereits die Gründung eines Frauenkollektivs ist außerordentlich politisch. Sieben Frauen organisieren ein Festival, auf dem Frauen zu hören und zu sehen sind, weil wir auf anderen Festivals nur so wenige Frauen im Line-up gesehen haben – das ist politisch. Wenn sieben Männer ein Festival organisieren, auf dem ausschließlich Männer spielen, ist das normal. Und: Die einmal etablierte männliche Mehrheit in den machtvollen, bestimmenden Positionen prägt tendenziell auch die weitere Verteilung dieser Positionen. Genau dagegen haben wir uns gegründet. Nun kommt Peng. Und dann ist das „unnormal“ und politisch. Durch diese Zuschreibungen sind wir politisch bewusster geworden. Wir haben unsere Erfahrungen ausgetauscht. Dabei haben wir bemerkt, dass die Erfahrungen der Einzelnen keine subjektiven, sondern oft auch kollektive Erfahrungen sind.

Was meint ihr, wenn ihr euch als „antikapitalistisches Kollektiv“ positioniert?

Damit begann ein Prozess der Bewusstwerdung. Nun verstehen wir uns umfassender als antikapitalistisches Kollektiv, das sich gegen jede Form der Diskriminierung einsetzt und für eine Gesellschaft steht, in der mensch autonom in gegenseitiger Verantwortung leben kann, mit den gleichen Möglichkeiten und dem gleichen Zugang zu Ressourcen und Bildung. Wichtig bei allem, was wir hier besprechen: Wir sind auch noch am Anfang. Und lernen.

Wie können wir dieses patriarchale, kapitalistische System unterwandern?

Um überhaupt wirksam etwas gegen Herrschaftsstrukturen unternehmen zu können, müssen wir uns erstmal organisieren, Wissen und Macht aufbauen. Das Vereinende ist wohl, dass wir keine kapitalistischen Eigentümer:innen sind, dass wir arbeiten müssen, um zu leben und an der Gesellschaft teilhaben zu können. Und das unter den Bedingungen, die andere uns vorschreiben. Zusätzlich und darauf aufbauend werden viele von uns wegen ihres Geschlechts und durch Rassismus bedroht und benachteiligt. Zusammen können wir das alles besser verstehen und gemeinsame Strategien besprechen, in der Auseinandersetzung lernen, was funktioniert und was nicht.

Welche Bedeutung hat dabei das Kollektiv?

Durch das Peng Jazzkollektiv haben wir ein Stück Selbstbestimmung geschaffen. Wir sind nicht mehr allein mit unseren Erfahrungen. Wir haben uns den Festivalort, diese Zeit im Herbst und den Ort in der Jazzszene des Ruhrgebiets angeeignet und sind nicht mehr abhängig von oft männlich dominierten Strukturen. Übrigens sehen wir Männer in diesem ganzen Kampf tendenziell als Verbündete und nicht als Gegner. Wir alle sind in den uns unterdrückenden Strukturen aufgewachsen und sind Teil davon, wir können sie nur gemeinsam bekämpfen.

Ihr seht die Benachteiligung von Frauen im Jazz als ein Beispiel für vielfältige, miteinander verwobene Unterdrückungsstrukturen. Wie verhält sich die Frage nach Frauen im Jazz zum weiteren gesellschaftlichen Rahmen?

Die materielle Lebensgrundlage und die Arbeitsbedingungen von Frauen nicht nur im Jazz zu verbessern, ist ein wichtiger Punkt in der Überwindung patriarchaler Verhältnisse. Wir wollen auch durch angemessene Gagen für die Musiker:innen, die auf unserem Festival spielen, deren ökonomische Unabhängigkeit erhöhen. Und das eben für Bands, in denen Frauen das Sagen haben. Liberaler oder bürgerlicher Feminismus und Antirassismus beziehen die zugrunde liegenden Strukturen der kapitalistischen Gesellschaft, unsere materiellen Lebensbedingungen, nicht in ihre Kritik und Politik ein. Nur durch Willensbekundungen zur Gleichstellung der Geschlechter oder zur Überwindung von Rassismus, durch diversere Darstellungen in Werbung und Außendarstellungen von Unternehmen werden wir diese Probleme nicht erfolgreich bekämpfen können.

Ihr wollt mehr als gleichstellungspolitische Ziele erreichen?

Es ist eine ziemlich absurde Vorstellung, die sich in bürgerlichem Feminismus zeigt, dass sich durch eine Veränderung der Führungspositionen und durch Bildung und Aufklärung etwas Grundlegendes an der Benachteiligung von Frauen und von durch Rassismus bedrohten Personen ändern könnte. Denn deren Grundlage, deren ökonomische Situation, die die Lebenstätigkeit einschränkt, wird dadurch überhaupt nicht angetastet.

Ihr stellt die Systemfrage?

Die im Kapitalismus unvermeidliche soziale Spaltung in Eigentümer:innen und Lohnabhängige, die große Unsicherheit und vermeidbares Leid für Letztere bedeutet, hat auch Anteil an sexistischen und rassistischen Spaltungen. Denn damit einher geht die notwendige Konkurrenz auf dem Arbeitsmarkt und zwischen den Staaten, woraus viele Rassismen ihre Kraft beziehen. Wir treten für eine Umgestaltung der Eigentumsverhältnisse ein, damit die Erfüllung gesellschaftlicher Bedürfnisse auf demokratische Weise organisiert werden kann.

Und was könnten wir da konkret machen?

Schritte dahin wären eine Stärkung öffentlicher Infrastruktur. Diese müsste allen gleichermaßen zur Verfügung stehen. Dabei ist auch ein Fokus auf benachteiligte Stadtteile und Regionen hilfreich. Öffentlich organisierte Kinderbetreuung, Gesundheitsversorgung, Kultureinrichtungen etc. sind Teil der Überwindung rassistischer und sexistischer Diskriminierung; ebenso Erhöhungen des Mindestlohns und, um auf unser Wirkungsfeld zurückzukommen, öffentliche Unterstützung von Künstler:innen und künstlerischen Institutionen. Wir wollen damit nicht sagen, dass die Repräsentation diskriminierter Gruppen in aktuell mächtigen Positionen wie Label- oder Festivalleitungen irrelevant ist. Aber das Problem und seine möglichen Lösungen gehen tiefer und dorthin, wo das bürgerliche Denken nicht hin möchte oder kann: an die kapitalistischen Eigentums- und Machtverhältnisse.

Ihr wollt ein Festival, bei dem musiziert wird und das sich zugleich kritisch mit der Macht sexistischer, rassistischer und kapitalistischer Verhältnisse auseinandersetzt. Wie sieht das Programm aus?

Erstmal sollen das Peng-Festival und das Maschinenhaus Essen, wo es stattfindet, ein möglichst einladender und menschlich warmer Ort sein. Deshalb dulden wir selbstverständlich keine Formen der Diskriminierung oder Übergriffigkeit. Außerdem ist jetzt zum zweiten Mal eine Gesprächsrunde geplant. Wir haben Şeyda Kurt, Amina Azis und Francis Seeck eingeladen. Titel der Gesprächsrunde wird sein: Auf der Suche nach Antidiskriminierungsstrategien.

Worauf können wir uns noch freuen? 

Alle, die kommen, können sich freuen auf sehr schöne Musik, auf respektvolle Atmosphäre und Diskussionen für eine bessere Zukunft.

Zitation: Peng Jazzkollektiv im Interview mit Uta C. Schmidt: „ … bereits die Gründung eines Frauenkollektivs ist außerordentlich politisch!“, in: blog interdisziplinäre geschlechterforschung, 12.10.2021, www.gender-blog.de/beitrag/peng-jazzkollektiv/, DOI: https://doi.org/10.17185/gender/20211012

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Dr. Uta C. Schmidt

Historikerin und Kunsthistorikerin; Forschungen an den Schnittstellen von Raum, Wissen, Geschlecht und Macht; Publikationen zu Klöstern, Klanggeschichte und Geschichtskultur; wiss. Mitarbeiterin im Netzwerk Frauen- und Geschlechterforschung NRW; Kuratorin im DA. Kunsthaus Kloster Gravenhorst; Mitherausgeberin von www.frauenruhrgeschichte.de.

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