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Forschung

Weiblichkeit im Widerspruch. Spannungsverhältnisse in der Beauty-Community

02. November 2021 Susanne Richter

Die Beauty-Community boomt auf der Videoplattform YouTube. Die sich dort präsentierenden „Schminkmädchen“ und „Beauty-Tussis“ werden nicht nur häufig belächelt, sondern auch dafür kritisiert, dass sie hohe normative Schönheitsanforderungen und tradierte Geschlechterrollen reproduzieren und mit kommerziellem Interesse kombinieren. Seltener gerät in den Blick, dass mit dem Schönheitshandeln öffentlich gemacht wird, was für viele eine tägliche Anforderung und übliche Praxis darstellt – insbesondere für diejenigen, die sich als ‚weiblich‘ vergeschlechtlicht positionieren.

Aushandlungen von ‚Weiblichkeit‘

In meiner Dissertation habe ich die deutschsprachige YouTube-Beauty-Community aus einer geschlechtersoziologischen Perspektive untersucht (Richter 2021). Dabei hat mich interessiert, wie vorrangig junge Mädchen und Frauen in den digitalen Formaten Praktiken des Schönheitshandelns ausführen, indem sie Schminktechniken demonstrieren und Beauty-Produkte besprechen, und wie diese Praktiken andererseits von der Community kommentiert und diskutiert werden. Was hier stattfindet, ist die aktive Aushandlung von ‚Weiblichkeit‘. Das Konzept der Weiblichkeit steht in einem sozialen Spannungsverhältnis und ist deshalb ein wichtiger Analysegegenstand: Einerseits wurde Weiblichkeit historisch diskursiv in einer minoritären Position verortet und etabliert; so wird Männlichkeit als das ‚Eigentliche‘ und Weiblichkeit als die ‚Abweichung‘ davon verstanden, wie Simone de Beauvoir (2000 [1951]) zuerst eindrucksvoll beschrieben hat. Diese noch immer nicht obsolete Hierarchisierung steht andererseits in immer größerer Spannung zu gegenwärtigen Vorstellungen von Geschlechteregalität. Was die Influencer_innen in den Videos zeigen, sind zwar mediale Inszenierungen, doch können sie auch als Performances von Geschlecht verstanden werden, wie wir sie alle jeden Tag aufführen. Nur können sie hier – mitsamt den Diskussionen in den Kommentarspalten – einer genaueren Analyse zugänglich gemacht und ihnen zugrundeliegende Werte können erschlossen werden.

Schönheitshandeln zwischen Viktimisierung und Abwertung

Schönheit ist ein Thema, bei dem die besondere Position von Weiblichkeit in der Geschlechterordnung sehr augenscheinlich wird. Als konstitutives Attribut von Weiblichkeit ist Schönheit schon lange Gegenstand feministischer Kritik: Dass Frauen auf besondere Weise in die Beurteilung und Bewertung ihrer Körper eingebunden sind, wird mit den Erfolgen feministischer Bewegungen nicht etwa weniger, sondern nimmt eher zu (Wolf 1993; Bartky 1998; McRobbie 2010). Es lohnt sich daher, zu fragen, wie in der Beauty-Community über Schönheit gesprochen und diskutiert wird und wie die Akteur_innen die Hierarchisierung von Weiblichkeit in der Geschlechterordnung bearbeiten, mit der sie dabei konfrontiert werden.

In den Ergebnissen der Studie zeigt sich die beschriebene Widersprüchlichkeit von Weiblichkeit sehr deutlich und drückt sich auch darin aus, wie die Akteur_innen sie permanent navigieren (müssen). Einerseits werden sie in Diskursen innerhalb und außerhalb der Community viktimisiert – etwa werden die Zuschauer_innen oft als ‚naive Kinder‘ gefasst, die dem medialen Druck von Schönheitsidealen ausgeliefert sind und kommerzielle Orientierungen der Influencer_innen vermeintlich nicht durchschauen. Andererseits wird das Schönheitshandeln aber auch als aktive Verortung in der marginalisierten femininen Position wahrgenommen und den Akteur_innen wird eine Mitschuld zugesprochen, wenn sie sich schminken und darüber abgewertet werden.

Auf Schönheit reduziert (werden)

Die Abwertung der Weiblichkeit, die die Akteurinnen navigieren, wird besonders in Analysen kontroverser Diskussionen deutlich. Wenngleich besonders von Außenstehenden häufig kritisch wahrgenommen wird, dass Beauty-YouTuber_innen mit ihrem Content machtvolle Körpernormen reproduzieren, ist die zugehörige Community auch ein Ort, an dem sich die Akteur_innen artikulieren und sich gegen den Druck, der mit diesen Normen einhergeht, zu wehren. Aus kontroversen Diskussionen lässt sich gut herausarbeiten, dass das Motiv von „schön sein“, sich „schön zu machen“ oder „schön aufzutreten“, als „sich darauf reduzieren“ besprochen und mitunter auch so verstanden wird. Diskutiert wird auch Schönheit in Polarisierung zu anderen, positiv konnotierten Werten: Wer schön ist, ist nicht klug oder witzig. Schönheit ist damit keine neutral positive Eigenschaft, sondern erscheint ambivalent aufgeladen. Diese Motive werden häufig in kritischer Ablehnung aufgerufen, etwa wird betont, dass eine schöne YouTuberin durchaus auch witzig und klug sein könne. Die Positionen sind also in Verhandlung und die Community arbeitet sich kritisch daran ab – doch sie sind eben noch präsent und müssen von jenen, die sich mit Schönheit auseinandersetzen, bearbeitet werden. Diese Arbeit ist zuweilen schwierig und langwierig. Während negative Konnotationen, etwa die Behauptung mangelnder Intelligenz, zurückgewiesen und entkräftet werden können, erweist sich die Kopplung von Weiblichkeit und Schönheit in ihrer normierenden Funktion als persistent: Auch YouTuber_innen, die in einem Video direkt einfordern, über den vielfältigen Content, den sie produzieren, bewertet zu werden und nicht über ihre Erscheinung, können dies nicht durchsetzen und ihre Kommentierungsspalten sind voll von – meistens gut gemeinten – Bezügen auf ihr Aussehen.

Souveränität und ‚Authentizität‘

Ein weiterer zentraler Wert, der anhand der Analyse der Verhandlungen herausgearbeitet werden kann, ist ‚Souveränität‘. Die Akteur_innen stehen nicht nur unter dem Druck, schön sein zu müssen, sondern auch diesen Druck und das unvermeidliche Scheitern an den unerreichbaren Maßstäben gelassen zu ertragen. Sie sollen, so diskutieren es sowohl YouTuber_innen als auch ihre Kommentierenden, das als normal wahrgenommene, beeinträchtigte Selbstwertgefühl durch Arbeit am Selbst überwinden. Sie sollen nicht darunter leiden, sondern Selbstliebe sowohl glaubhaft performen als auch wirklich empfinden. Wichtig ist dabei auch, die Normen nicht unterwürfig zu antizipieren, sondern glaubhaft zu vermitteln, dass sie sich schminken, weil sie es selbst wollen.

Auch ‚Authentizität‘ ist damit eine der Schlüsselkategorien der Untersuchung. Sie wird wertschätzend als Feedback für die YouTuber_innen aufgerufen und indirekt verhandelt. Authentizität wird als Wert gerade dann aufgerufen, wenn die Legitimität von Monetarisierung und Kommerzialisierung der Videos verhandelt wird. Auch wenn darüber debattiert wird, wie intensiv Make-up (nicht) sein sollte, kommt Authentizität ins Spiel. Es zeigt sich, dass vor allem jene Performances als ‚authentisch‘ wahrgenommen und gelobt werden, in denen die anspruchsvollen Sets an Fähigkeiten (Schönheitshandeln, YouTube-Videos machen, Weiblichkeit performen) ‚richtig‘ miteinander kombiniert werden. Als erfolgreich ‚authentisch‘ bestehen so weniger die ‚rohen‘, ungeschminkten oder unbearbeiteten Performances, sondern eher jene, die ein komplexes Bündel an Fähigkeiten mit hohem Status aufweisen.

Flexible Essenzialisierung

Was sich hier zeigt, ist eine Kombination aus vermeintlicher Offenheit und Normativität: Die hohen, normativen Anforderungen an das Aussehen insbesondere von Frauen sind präsent und wirksam, werden aber nicht (mehr) offen normativ formuliert. Stattdessen werden Werte artikuliert wie „Schönheit ist subjektiv“ und „alle sind (irgendwie) schön“ und „man soll sich herrichten, wie man möchte, nicht wie Moden oder Ideale es vorschreiben“. Erst wenn die Bedeutung der Authentizität als Wert und wie dieser verhandelt wird, erfasst ist, lassen sich die hohen normativen Anforderungen an Weiblichkeit erkennen, die mit ihm transportiert werden. Es kommt eine Norm zutage, die als „sei was du willst, aber sei es richtig“ pointiert werden kann und die ich als flexible Essenzialisierung bezeichne (Richter 2020). Der Begriff der Essenzialisierung beschreibt das Aufrufen der Idee einer ‚Essenz‘, eines unveränderlichen innerlichen Kerns und somit das Beharren auf einer als unveränderlich gedachten Ordnung. Zugleich jedoch zeichnet sich eine Flexibilisierung und Pluralisierung ab, etwa in dem individualistischen Wert, dass alle „sein und tun können, was sie möchten“. Diese Gleichzeitigkeit lässt sich so deuten, dass die Normativität der binären, hierarchischen Geschlechterordnung, ihrer zunehmenden Delegitimation zum Trotz, ‚versteckt‘ bestehen bleibt.  

Notgedrungen renitent

Auch und gerade anhand einer Community, die mitunter für ihre vermeintliche Oberflächlichkeit kritisiert wird, können somit die kontroversen Verhandlungen um die Geschlechterordnung untersucht werden. Die Ergebnisse zeigen, dass diese Ordnung zwar beharrlich ist, doch unter zunehmender Spannung steht, permanent bearbeitet wird und neue Anforderungen und Öffnungen integrieren muss. Die Akteur_innen sind weiterhin mit der (historisch etablierten) Minorisierung von Weiblichkeit konfrontiert, doch unterliegen sie auch neuen, neoliberalen Anforderungen an Autonomie und Souveränität, die tradierte Konzeptionen von Weiblichkeit überschreiten. In dieser Widersprüchlichkeit sind die Akteur_innen als notgedrungen renitent, als kämpferisch positioniert: Sie bearbeiten die hierarchisierenden Konnotationen von Weiblichkeit auf verschiedene Weisen. Mitunter nehmen sie durchaus affirmativ darauf Bezug, aber sie verhandeln sie auch kontrovers und nutzen ihre Sprechpositionen auf der Plattform für widerständige Artikulationen, mit denen sie sich gegen herrschaftliche Zugriffe verwahren. Aufgrund der widersprüchlichen Anforderungen befinden sie sich in dem unauflösbaren Konflikt, der entsteht, wenn Performances von ‚gefälliger Weiblichkeit‘ zugleich normativ gefordert, aber auch mit Abwertung sanktioniert werden.

Literatur

Richter, Susanne. 2021. Hallo Schönheiten! Performances und Aushandlungen der Geschlechterordnung in der YouTube-Beauty-Community. Frankfurt/Main: Campus.

Richter, Susanne. 2020. „Sei was du willst, aber sei es richtig“ – Anforderungen zur Authentizität in Beauty Videos als Strategie flexibler Essentialisierung. In Britta Hoffarth, Susanne Richter und Eva Reuter (Hrsg.), Geschlecht und Medien. Räume, Deutungen, Repräsentationen (S. 65–83). Frankfurt/Main: Campus.

Bartky, Sandra Lee. 1998. Foucault, Femininity, and the Modernization of Patriarchal Power. In Rose Weitz und Samantha Kwan (Hrsg.), The politics of women’s bodies: Sexuality, appearance, and behavior (S. 25–45). New York, Oxford: Oxford University Press.

Beauvoir, Simone de. 2000 [1951]. Das andere Geschlecht: Sitte und Sexus der Frau. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt.

McRobbie, Angela. 2010. Top girls. Feminismus und der Aufstieg des neoliberalen Geschlechterregimes. Wiesbaden: VS.

Wolf, Naomi. 1993. Der Mythos Schönheit. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt.

Zitation: Susanne Richter: Weiblichkeit im Widerspruch. Spannungsverhältnisse in der Beauty-Community, in: blog interdisziplinäre geschlechterforschung, 02.11.2021, www.gender-blog.de/beitrag/weiblichkeit-beauty-community/, DOI: https://doi.org/10.17185/gender/20211102

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Dr. Susanne Richter

Susanne Richter ist Geschlechterforscherin und Soziologin. Sie arbeitet als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Zentrum für Geschlechterforschung der Universität Hildesheim. Ihre Schwerpunkte sind Aushandlungen der Geschlechterordnung, feministische Digitalisierungsforschung, qualitative Methoden und feministische Theorie.

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