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Debatte

Angst- und Gefahrenräume an Hochschulen

15. März 2022 Lisa Mense

Parkhäuser oder Tiefgaragen gelten häufig als angstverursachende Orte, vor allem bei Dunkelheit und wenn sie leer und verlassen wirken. Dass sie auch Kunsträume sein können, zeigte die Kunsthalle Düsseldorf im Frühjahr 2021 mit einer Installation von Eliza Ballesteros, die im Parkhaus unter der Kunsthalle in Düsseldorf zu sehen war. An einer Wand des Parkhauses war sehr großflächig der Schriftzug „DARE“ aufgetragen. Er war erst im Licht eines Autoscheinwerfers deutlich zu sehen. Mit der Installation wurde der vermeintliche Angstraum zu einem Ort für Kunst, verbunden mit der Aufforderung, etwas zu wagen bzw. sich zu trauen, Räume, die Unbehagen, Unsicherheit und Gefühle von Bedrohung auslösen können, für sich zu beanspruchen. Zugleich lässt sich darüber nachdenken, wie Räume zu Orten der Angst gemacht werden, für welche Personen(-Gruppen) sie angsteinflößend sind, welche und wessen Ängste Beachtung finden, und nicht zuletzt, ob diese Orte auch in der Tat Gefahrenräume sind.

Seit vielen Jahren befassen sich feministische Bewegungen, die feministische Raum- und Stadtplanung sowie die geschlechterbezogene Soziologie und Geografie mit solchen Fragen (vgl. Kramer/Mischau 2002), die auch für Hochschulen relevant sind.

Maßnahmen zur Erhöhung subjektiven Sicherheitsempfindens

Im Rahmen der Diskussionen, was Hochschulen gegen sexuelle Belästigung sowie sexualisierte Diskriminierung und Gewalt präventiv tun können, werden auch Maßnahmen genannt, die vorrangig darauf zielen, das subjektive Sicherheitsempfinden der Hochschulangehörigen, und hierbei insbesondere das von Frauen, zu erhöhen. So zählen beispielsweise Campusbegehungen zur Identifizierung sogenannter Angsträume sowie Hochschulbefragungen zu Unsicherheitsgefühlen zum Repertoire der Prävention von sexueller Belästigung, sexualisierter Diskriminierung und Gewalt (vgl. Kortendiek et al. 2021; Schüz et al. 2021). Dabei werden in der Regel Orte aufgrund bestimmter Um- und Zustände als Angsträume klassifiziert: Hierzu zählen beispielsweise Unterführungen, Parkhäuser, Tiefgaragen oder U-Bahnhöfe ebenso wie Dunkelheit, schlecht ausgeleuchtete Wege, unübersichtliche Orte und herumliegender Müll. Aber auch Menschen, die sich an öffentlichen Orten aufhalten, können diese als unsicher erscheinen lassen.

Als Lösung werden zumeist infrastrukturelle Baumaßnahmen wie freundlichere Anstriche in Parkhäusern und Gebäuden, die Ausweisung von bestimmten Parkplätzen für Frauen, eine bessere Beleuchtung und Wegführung, die Pflege und der Rückschnitt von Begleitgrün und die frühzeitige Beseitigung von Müll oder Beschädigungen genannt. Darüber hinaus sind der Einsatz von Videoüberwachung und die Installation von Alarmmeldesystemen, die Veröffentlichung von Notrufnummern und Treffpunkten sowie die vermehrte Einstellung von Sicherheitspersonal Teil der Sicherheitsstrategien an vielen Hochschulen.

Subjektives Sicherheitsempfinden und strukturelle Bedingungen

Die genannten Maßnahmen mögen durchaus dazu beitragen, subjektiven Gefühlen von Unsicherheit und Angst zu begegnen. Doch sie sind zugleich problematisch, da oftmals die strukturellen und vergeschlechtlichten Machtverhältnisse, die dem Phänomen der sexuellen Belästigung, der sexualisierten Diskriminierung und Gewalt zugrunde liegen, aus dem Blick geraten. Die genannten Räume und Situationen lösen nicht bei allen Menschen gleichermaßen Unsicherheitsgefühle aus, denn wie Menschen Räume bzw. Orte wahrnehmen und welche Gefühle sie damit verbinden, hängt von unterschiedlichen Faktoren ab. So können Sicherheits- oder Unsicherheitsgefühle mit persönlichen Erfahrungen in einem Raum zusammenhängen, aber auch durch Erzählungen von anderen und durch öffentliche Debatten und Diskurse geprägt sein.

In Befragungen äußern Frauen häufiger als Männer, dass sie sich im öffentlichen Raum unsicher fühlen und Angst vor Angriffen, vor allem vor sexueller Belästigung haben (vgl. Birkel et al. 2019). Dass die häufiger von Frauen geäußerte Sorge vor sexueller Belästigung in der Öffentlichkeit nicht unbegründet ist, wird durch Befragungsergebnisse gestützt (vgl. FRA 2021). Aus der Gewaltforschung ist zudem bekannt, dass überwiegend Frauen von sexueller Belästigung und Gewalt betroffen sind und mehrheitlich männliche Personen diese ausüben. Insbesondere die Sorge vor sexueller Belästigung und Gewalt scheint demnach die geschlechterspezifischen Unterschiede hinsichtlich der Angstgefühle zumindest zum Teil zu erklären.

Auseinanderfallen von Angst- und Gefahrenräumen

Allerdings besteht eine Diskrepanz zwischen den subjektiven Sicherheitsgefühlen und der objektiven Gefährdungslage von Frauen im öffentlichen Raum. Denn Frauen widerfährt (sexuelle) Gewalt in der Regel nicht an unbelebten Orten und draußen, sondern im privaten Nahraum, im Umfeld von Familie und Haushalt, von Nachbar- und Bekanntschaft. Dieses Auseinanderfallen von Angst- und Gefahrenräumen findet sich ebenfalls an Hochschulen, wie im Rahmen der EU-weiten Studie „Gender-based Violence, Stalking and Fear of Crime“ gezeigt wurde. So fühlten sich die befragten Studentinnen – beeinflusst von der Tageszeit – oftmals an öffentlichen Orten wie Parkhäusern oder dem Außengelände einer Hochschule unsicherer als dort, wo sie statistisch gesehen häufiger Opfer von Übergriffen werden, nämlich in geschlossenen Räumen wie Hörsälen oder Büros oder auch in privaten Räumen außerhalb des Campus.

Das empirische Wissen, dass Angsträume nur vereinzelt Tatorte sind, wird gleichwohl nur selten bei der Umsetzung von Sicherheitspolitiken an den Hochschulen systematisch reflektiert bzw. nimmt kaum Einfluss auf das individuelle Sicherheitsgefühl.

Sicherheitsmaßnahmen und räumliche Geschlechterordnung

Renate Ruhne (2020) kritisiert vor diesem Hintergrund das Konzept der Angsträume mit Blick auf den urbanen Raum, eine Kritik, die sich ebenfalls auf den Kontext Hochschule beziehen lässt: Zum einen gebe es kaum systematische Evaluationen zu den Wirkungen von planerischen und Sicherheitsmaßnahmen. Die wenigen Evaluationen, die bislang durchgeführt wurden, belegten allenfalls eine beschränkte Wirkung der Maßnahmen. Zum anderen zeige sich, dass Maßnahmen zur Erhöhung von Sicherheit eher Unsicherheitsgefühle verstärken können, statt sie zu mindern.  

Das Beispiel Videoüberwachung belegt dies besonders gut: Die Kamera lenke die Aufmerksamkeit auf eine eventuelle Gefahrenlage, sie erhöhe daher nicht die Sicherheit, sondern nur die Sichtbarkeit. Letztlich trage der Diskurs um Angsträume so zum Fortbestehen von Ungleichheiten bei, indem er die räumliche Geschlechterordnung bestätige. Die häufige Adressierung von Frauen als ängstlicher sowie Maßnahmen wie Frauenparkplätze oder Sicherheitsbegleitung für Frauen weisen laut Ruhne nicht nur einfach auf bestehende Angebote hin, sondern auch auf eine potenzielle Gefährdung von Frauen – insbesondere in der Öffentlichkeit. Damit schließen sie zugleich an die Vorstellungen der Moderne über die besondere Schutzbedürftigkeit von (zumeist bürgerlichen weißen) Frauen an, für die das Private angeblich Schutz böte und das Außen den Gefahrenraum darstelle.

Kritische Reflexion vonnöten

Sicherheitsdiskurse im Kontext sexueller Belästigung und Gewalt vernachlässigen insofern gesellschaftliche Machtverhältnisse, sie fragen selten danach, ob es sich bei Ängsten um Fremd- oder Eigenzuschreibungen handelt. Die Angst von Frauen und die angenommene Nichtangst von Männern wird quasi vorausgesetzt und damit naturalisiert. Darüber hinaus lässt der oftmals ausschließliche eindimensionale und binäre Fokus auf Geschlecht außer Acht, welchen Gefährdungen beispielsweise obdachlose Menschen, Menschen mit Behinderung, sichtbar queere oder rassifizierte Menschen an öffentlichen Räumen und Plätzen ausgesetzt sind. In der Bekämpfung von sexueller Belästigung, sexualisierter Diskriminierung und Gewalt sollte daher die Umsetzung sicherheitspolitischer Maßnahmen – nicht nur an den Hochschulen – kritisch reflektiert werden.

Lesetipp: Die Handreichung „Sexualisierter Belästigung, Gewalt und Machtmissbrauch an Hochschulen entgegenwirken“ ist als Studie Nr. 37 des Netzwerks Frauen- und Geschlechterforschung NRW erschienen.

Literatur

Birkel, Christoph/Church, Daniel/Hummelsheim-Doss, Dina/Leitgöb-Guzy, Nathalie/Oberwittler, Dietrich (2019): Der Deutsche Viktimisierungssurvey 2017. Opfererfahrungen, kriminalitätsbezogene Einstellungen sowie die Wahrnehmung von Unsicherheit und Kriminalität in Deutschland. Wiesbaden: Bundeskriminalamt. http://hdl.handle.net/21.11116/0000-0003-4DF7-1

FRA (2021): Crime, Safety and Victims' Rights. Fundamental Rights Survey, Report of the European Union Agency for Fundamental Rights (FRA). Zugriff am 10.03.2022 unter https://fra.europa.eu/sites/default/files/fra_uploads/fra-2021-crime-safety-victims-rights_en.pdf.

Kortendiek, Beate/Mense, Lisa/Beaufaÿs, Sandra/Bünnig, Jenny/Hendrix, Ulla/Herrmann, Jeremia/Mauer, Heike/Niegel, Jennifer (2021): Sexualisierte Belästigung, Gewalt und Machtmissbrauch. In: Kortendiek, Beate/Mense, Lisa/Beaufaÿs, Sandra/Bünnig, Jenny/Hendrix, Ulla/Herrmann, Jeremia/Mauer, Heike/Niegel, Jennifer: Gender Pay Gap und Geschlechter(un)gleichheit an Hochschulen. Jahrbuch geschlechterbezogene Hochschulforschung. Wiesbaden: Springer VS, S. 197–218. https://doi.org/10.1007/978-3-658-32859-7_11

Kramer, Caroline/Mischau, Anina (2002): Entwicklung der raumbezogenen Genderforschung. In: Kramer, Caroline (Hg.): FREI-Räume und FREI-Zeiten. Raum-Nutzung und Zeit-Verwendung im Geschlechterverhältnis. Baden-Baden: Nomos, S. 17–31.

Ruhne, Renate (2020): Urbane ‚Angsträume’. Die Stadt als ein vergeschlechtlichtes Bedrohungsszenario. In: Breckner, Ingrid/Göschel, Albrecht/Matthiesen, Ulf (Hg.): Stadtsoziologie und Stadtentwicklung. Handbuch für Wissenschaft und Praxis. Baden-Baden: Nomos, S. 429–439. https://doi.org/10.5771/9783845276779-429

Schüz, Hannah-Sophie/Pantelmann, Heike/Wälty, Tanja/Lawrenz, Nina (2021): Der universitäre Umgang mit sexualisierter Diskriminierung und Gewalt. Eine Bestandsaufnahme. In: Open Gender Journal, 5. https://doi.org/10.17169/ogj.2021.120

Zitation: Lisa Mense: Angst- und Gefahrenräume an Hochschulen, in: blog interdisziplinäre geschlechterforschung, 15.03.2022, www.gender-blog.de/beitrag/angst-und-gefahrenraeume-an-hochschulen/, DOI: https://doi.org/10.17185/gender/20220315

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Dr. Lisa Mense

Dr. Lisa Mense ist stellvertretende Koordinatorin und wissenschaftliche Mitarbeiterin der Koordinations- und Forschungsstelle des Netzwerks Frauen- und Geschlechterforschung NRW. Ihre Arbeitsschwerpunkte sind Hochschul- und Gleichstellungsforschung, Geschlechter- und diversitätskompetente Lehre, Gender Studies und Queer Theory.

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