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Interview

Männlichkeit verraten?! Kim Posster über das Scheitern gegenwärtiger Männlichkeitskritik

14. November 2023 Kim Posster Johanna Niendorf

Angesichts der Permanenz sexistischer Verhältnisse, frauenfeindlicher und sexueller Gewalt wird insbesondere von feministischer Seite immer wieder eine kritische Auseinandersetzung mit Männlichkeit gefordert. Unter dem Begriff der ‚kritischen Männlichkeit‘ versammeln sich Ansätze, Gruppen und Initiativen, die versuchen, die Kritik in die Praxis umzusetzen. Warum aktuelle Formen der Männlichkeitskritik jedoch oft den Kern des Problems verfehlen und welche Alternativen es zum aktuellen Profeminismus gäbe, zeigt Kim Posster in seinem Essay Männlichkeit verraten! Über das Elend der ‚Kritischen Männlichkeit‘. Die Sozialwissenschaftlerin Johanna Niendorf sprach mit dem Autor über sein Buch.

JN: Wie bist du zu der Auseinandersetzung mit dem Thema ‚Kritische Männlichkeit‘ gekommen? Welche Rolle spielen eigene Erfahrungen dabei?

KP: Fasziniert von der Selbsterfahrungspraxis des Feminismus der zweiten Welle wollte ich gerade auch als Mann antipatriarchal tätig werden. Von 2017 bis 2020 war ich deshalb an mehreren Versuchen der organisierten Reflexion von Männlichkeit beteiligt, unter anderem einer typischen „Kritischen Männlichkeitsgruppe“. Dort erlebte ich nicht nur, wie plan- und haltungslos in „Männlichkeit an sich“ herumgestochert wurde oder wie gerade das Thema Täterschaft verdrängt wurde, sondern wirkte auch noch selbst kräftig dabei mit... Aus dieser Erfahrung des Scheiterns, der Enttäuschung und des Frusts ziehe ich viel der Kritik und vor allem eine leidenschaftliche Wut gegen andere Männer, die sich in solche Ersatzhandlungspraxis zurückziehen, statt Männlichkeit als konkretes Problem anzugehen.

Was bedeutet denn Männlichkeit gegenwärtig in kapitalistischen Verhältnissen?

Männlichkeit ist eng verknüpft mit der bürgerlichen Subjektform, also der Notwendigkeit, sich als Warenbesitzer*in und Staatsbürger*in gesellschaftlich zu verwirklichen. Das sieht man einerseits historisch konkret daran, dass die bürgerlichen Menschenrechte nur Männern vorbehalten waren. Idealtypisch ist das bis heute so, was sich zum Beispiel daran zeigt, dass alles, was in diesen Verhältnissen Handlungsfähigkeit, Individualität und Autonomie verspricht, nach wie vor als männlich gilt, während das, was den Subjektstatus untergräbt – wie Schwäche, Passivität, Abhängigkeit etc. – als nichtmännlich bzw. meist weiblich definiert wird. Alle Geschlechter müssen deshalb mittlerweile Männlichkeit in gewissen Aspekten anstreben, doch nur an (cis) Männer wird der volle Anspruch auf (bürgerliche) Subjektivität herangetragen, den sie dann als ein Souveränitätsphantasma verinnerlichen: Eine Subjektivität, die so tut, als ob mann wirklich stets unabhängig und selbstbestimmt wäre. Gerade deshalb entwickeln Männer ein krisenhaft-revanchistisches Verlangen nach Dominanz und neigen besonders zum Hass auf das Un- und Nichtmännliche, was sie in sich selbst, in anderen Männern und vor allem an Frauen und Queers verachten und verfolgen.

Zentraler Gegenstand deines Buches und auch deiner Kritik ist die gegenwärtig dominierende Form einer kritischen Auseinandersetzung mit Männlichkeit. Inwiefern fungiert diese selbst als Anpassung an kapitalistische Modernisierungsprozesse?

Auch Staat und Kapital haben mittlerweile ein Interesse daran entwickelt, die Reibungsverluste und Kollateralschäden patriarchaler Herrschaft zu reduzieren. Die stets krisenhafte Männlichkeit kann der Funktionstüchtigkeit des bürgerlichen Subjekts auch schaden, hier kann feministische Kritik eingebunden werden. Zugespitzt lässt sich das an zwei Beispielen zeigen: Zu exzessives Mackerverhalten stört die flachen Hierarchien und familiäre Wohlfühlatmosphäre der Betriebe, während Männer, die nie zum Arzt gehen und zu viel trinken, einer ressourcenschonenden Menschenverwertung im Weg stehen. Gerade am Begriff der „toxischen Männlichkeit“ sieht man, wie etwas, was als Skandalisierung von Rape Culture und männlichem Machtmissbrauch gestartet ist, ein Stichwort der Sozial- und Gesundheitspolitik für Männer geworden ist.

Das zeigt sich ja auch in der Debatte darüber, welche Kosten durch „toxische Männlichkeit“ für das Gesundheitssystem entstehen, da Männer bspw. seltener zu Vorsorgeuntersuchungen gehen und gesundheitliche Risiken weniger ernst nehmen. Was bedeutet dieser Fokus für Männlichkeitskritik?

Wenn Männlichkeitskritik typisch spätkapitalistisch, also durchweg individualisiert und maximal auf Verteilungsgerechtigkeit ausgelegt auftritt, wird sie auf einer Systemebene stets dieser List der kapitalistischen Vernunft erliegen. Andererseits sieht man auch ganz konkret, wer sich hauptsächlich für „kritische/toxische Männlichkeit“, „Profeminismus“ etc. interessiert: weiße Mittelstandsmänner, die zunehmend merken, dass sie mit ihrer Männlichkeit in der Arbeits- und Beziehungswelt nicht mehr vorankommen und deshalb Bedarf zum Nachjustieren sehen. Männlichkeitskritik, die feministische Kritik nicht zum Maßstab macht, sondern nur als Mittel zum Zweck gebraucht, wird stets so integrierbar sein.

Ein besonderer Schwerpunkt liegt in deinem Essay auf männlicher sexueller Gewalt und einer fehlenden Auseinandersetzung damit von Männern als potenzielle Täter. Dem aktuellen Profeminismus wirfst du vor, diese fehlende Auseinandersetzung zu begünstigen. Das Nachdenken über geschlechtliche Herrschaft und ihre psychische Fundierung, warum es Männern bewusst und unbewusst Lust bereitet, Grenzen immer wieder zu überschreiten, wird verstellt. Wie kommt es zu dieser Abwehr und warum wird das so breit akzeptiert?

Einerseits fehlt oft ein kritisches Verständnis von sexueller Gewalt, welches das fehlende Verhältnis von Männern zu (ihrer) Täterschaft als wesentlichen Teil von Tätersubjektivität begreifen kann. Anderseits und zentraler ist dies auch ein Effekt der Ohnmacht und Fassungslosigkeit vor der bitteren Realität: Männer lassen andere in der Regel mit der Bedeutung, den Konsequenzen und der – von ihnen ausgehenden – Drohung sexueller Gewalt allein, was kaum auszuhalten ist. Es ist deshalb gerade für (potenziell) Betroffene unmittelbar auch entlastend, Männern zu glauben, dass sie wirklich so ahnungs- und hilflos, aber eigentlich guten Willens sind, wenn die Alternative wäre, Konsequenzen aus deren Verhalten zu ziehen. Die infantilisierende Sorge um Männer, das wussten schon feministische Sozialpsychologinnen wie Birgit Rommelspacher in den 1980er-Jahren, entstammt auch verzweifelten Ermächtigungsfantasien, die Männer dankend akzeptieren, solange sie selbst und ihre Vorherrschaft nie ernsthaft infrage gestellt werden.

Was könnte ein anderes Sprechen über männliche Sexualität und ihre problematischen Aspekte begünstigen? Im Buch schreibst du von einer Intimität der Kritik und der Lust auf ein anderes Begehren. Was bedeutet das für dich?

Männer müssen lernen, sich von anderen Männern, aber auch von sich selbst, von der eigenen Verstrickung in Täterschaft, erschrecken zu lassen. Sie müssen die damit einhergehende Wut, Angst und Trauer auch anderen Männern gegenüber zum Ausdruck bringen und die Menschen und Strukturen kennen und hassen lernen, die männliche Dominanz und Gewalt begünstigen und durchsetzen. Daraus entstehen notwendigerweise Konfrontationen, gerade mit anderen Männern, abseits der normalen Rumkumpelei und profeministischen Verbrüderung. Die Chance, hier mit den eigenen Gefühlen und Anliegen allein zu bleiben oder enttäuscht zu werden, ist enorm groß: Denn plötzlich ist man(n) in der Position, in der sich sonst nur Feminist*innen und/oder Menschen wiederfinden, die das Pech haben, Männer zu begehren – nämlich leidenschaftlich etwas von ihnen zu wollen und ihnen deshalb in diesem Verlangen nahezutreten und verletzlich vor ihnen zu werden. Genau deshalb gilt es, das nicht weiter zu vermeiden, oder es mit gefühliger Harmoniesoße zu verdecken, die dann profeministisch als „Zulassen von Emotionalität“ und „männliche Sorge umeinander“ rationalisiert wird.

Im aktuellen Aktivismus zu Männlichkeit siehst du hauptsächlich ‚profeministische‘ Ausweichbewegungen und Ersatzhandlungen, die am Ende das Phantasma männlicher Souveränität unangetastet lassen. Was braucht es für eine tatsächliche Konfrontation von Männern mit ihrer Männlichkeit?

Für die Konfrontation mit Männern und Männlichkeit braucht es Wissen, Haltung, antipatriarchale Solidarität und damit vor allem auch Macht. Damit meine ich die Fähigkeit, Konsequenzen zu ziehen, wenn patriarchale Dominanz verteidigt oder feministische Kritik systematisch abgewehrt, ausgesessen oder unterlaufen wird. Besonders hier ist es wichtig, männlichkeitskritische Standards der gemeinsamen Organisation und inhaltlichen Auseinandersetzung durchzusetzen und auch gegen Widerstände zu halten. Jede Form der politischen Bewegung muss sich dabei die Frage gefallen lassen, wie sie Männlichkeit zum Thema macht und praktisch aufgreift, und jeder (cis) Mann steht in seinem Verhältnis dazu grundsätzlich infrage. Wenn sie darin nicht reaktionär im doppelten Sinne sein wollen, müssen sie bereit sein, männerbündischen Strukturen und ihrer herrschaftlichen Ignoranz in den Rücken zu fallen. Dafür müssten sie jedoch auch selbst feministische Ansprüche vertreten und leidenschaftlich gegen Anpassungs- und Abwehrtendenzen von (cis) Männern vorgehen. Denn, um es mit der autonomen Feministin Ingrid Strobl zu sagen: „Die emanzipatorischen Kämpfe von Feminist*innen bedürfen nicht so sehr der männlichen Genossen, die sich für ihre Freunde halten, als der männlichen Genossen, die bereit sind, zum Feind des Mannes zu werden“.

Das Buch „Männlichkeit verraten! Über das Elend der ‚Kritischen Männlichkeit‘ und eine Alternative zum heutigen Profeminismus“ von Kim Posster ist 2023 im Neofelis Verlag erschienen.

Literatur

Posster, Kim (2023). Männlichkeit verraten! Über das Elend der ‚Kritischen Männlichkeit‘ und eine Alternative zum heutigen Profeminismus. Berlin: Neofelis.

Zitation: Kim Posster im Interview mit Johanna Niendorf: Männlichkeit verraten?! Kim Posster über das Scheitern gegenwärtiger Männlichkeitskritik, in: blog interdisziplinäre geschlechterforschung, 14.11.2023, www.gender-blog.de/beitrag/maennlichkeit-verraten-maennlichkeitskritik/, DOI: https://doi.org/10.17185/gender/20231114

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© Headergrafik: Ezio Gutzemberg/Adobe-Stock

Kim Posster

Kim Posster, M.A. Sexualwissenschaft, lebt in Leipzig und publiziert seit mehreren Jahren zur (praktischen) Kritik an Männlichkeit in konkret, analyse & kritik, Jungle World u. a. Er war an mehreren Versuchen der organisierten Reflexion von Männlichkeit beteiligt, die er allesamt als gescheitert bewertet.

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Johanna Niendorf

Johanna Niendorf ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Else-Frenkel-Brunswik-Institut in Leipzig und promoviert zu Autoritarismus und Geschlecht. Sie engagiert sich in verschiedenen politischen Initiativen, u.a. bei Phia e.V. - gegen Gewalt an Frauen*.

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