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Forschung

„Es gibt da immer einen Weg“ – Genderbias durch Netzwerke in der Technik

09. April 2019 Jennifer Dahmen-Adkins Anne Göttgens Andrea Wolffram

Chancengleichheit jenseits des Geschlechts – ist dies in Wissenschaft und Industrie Realität? Nach wie vor besetzen nur wenige Frauen hoch dotierte Positionen an Hochschulen oder in Wirtschaft und Industrie, obwohl der Frauenanteil der Studienanfänger*innen sowie Absolvent*innen in den letzten Jahren weiter gestiegen ist  (GWK 2018, 2016). Auch in den Ingenieurwissenschaften und Informatik wird dieses Muster deutlich, jedoch auf einem niedrigeren Niveau. Infolgedessen befinden sich Ingenieurinnen und Informatikerinnen in einer besonders ausgeprägten Minderheitenposition, aus der heraus sie auf die „gläserne Decke“ (Yoder 1990) stoßen.

Karrierewege in Informatik und Ingenieurwissenschaften

Wissenschaftliche Karrierewege in Informatik und Ingenieurwissenschaften stellen sich diverser dar als in den nichttechnischen Disziplinen. Dies liegt an der engen Verknüpfung von Hochschule und Industrie. Während in der Informatik vor allem Auslandsaufenthalte und somit allgemein die Internationalisierung eine zentrale Rolle spielt, sind es in den Ingenieurwissenschaften besonders Industrieerfahrungen, die einen wesentlichen Bestandteil für die wissenschaftliche Karriere bilden. Insgesamt gilt es zu berücksichtigen, dass in diesem Bereich die Berufung auf eine Professur oftmals aus einer Leitungsposition in der Industrie erfolgt.

Daran anknüpfend untersucht das Forschungsprojekt „Gender Bias in den Karriereverläufen von Frauen in den Ingenieurwissenschaften und der Informationstechnik durch informelle Förderbeziehungen und Netzwerke“ (GenderNetz), welchen Einfluss informelle Netzwerke in den technischen Wissenschaften für die Karrierewege promovierter Wissenschaftler*innen haben und zu ungleichen Chancen zwischen Frauen und Männern führen können.

Ursachenforschung zur Aufrechthaltung geschlechtstypischer Karriereverläufe

Entgegen gleichstellungspolitischer Bemühungen verschiebt sich die Geschlechterverteilung auf den einzelnen Karrierestufen, speziell in den Ingenieurwissenschaften und Informatik, nur langsam. Dabei sind es individuelle, (fach-)kulturelle sowie strukturelle Faktoren, die als multidimensionales Geflecht die bestehende Geschlechterungleichheit aufrechterhalten und stetig (re-)produzieren (Kahlert 2013). Vor allem informelle Netzwerke könnten hier eine wichtige Rolle einnehmen. Das Forschungsprojekt „GenderNetz“ fragt dementsprechend, inwiefern formelle sowie informelle Beziehungsnetzwerke die Karriereverläufe von promovierten Wissenschaftler*innen in den Ingenieurwissenschaften und Informatik bedingen und gegebenenfalls soziale Ungleichheiten (re-)produzieren. Welche Bedeutung gegebenen Netzwerkstrukturen dabei zukommen könnten und wie sie funktionieren, erschließt das Projekt über narrative Interviews mit promovierten Ingenieur*innen und Informatiker*innen sowie mit Professor*innen und Personen in Leitungspositionen an Hochschulen und aus der Industrie. Zusätzlich werden Verantwortliche aus den Bereichen Gleichstellung, Diversitymanagement, Geschäftsführung in Gruppeninterviews befragt, um spezifische Karrierebarrieren und Ansatzpunkte für gleichstellungspolitische Maßnahmen zu identifizieren.

Netzwerke – Vitamin B für die Karriere?

Auch wenn die Wissenschaft stets auf ihren meritokratischen Charakter verweist, zeigt die soziologische Netzwerkforschung, dass Beziehungen und Kontakte einen wesentlichen Einfluss auf die Karriere haben können (Groll 2017). Viel rezipiert ist der Aufsatz „The Strength of Weak Ties“ von 1973, in dem Mark Granovetter darauf hinweist, dass Netzwerke und Beziehungen – insbesondere jene ‚schwachen‘ Netzwerkverbindungen – für die Karriere und Jobsuche hilfreich sein können (Granovetter 1973: 1369). Mithilfe solcher Beziehungen können unter anderem exklusive karriererelevante Informationen transportiert und so Zugänge zu Stellenangeboten geöffnet werden (von Stebut 2003: 50). Unser bislang erhobenes empirisches Material weist ebenfalls bereits auf die Bedeutung von Beziehungskonstellationen für eine Karriere in den Ingenieurwissenschaften oder Informatik hin. So äußert eine promovierte Wissenschaftlerin, die nun als Diversitybeauftragte arbeitet, im Interview:

 „Also ich bin mir sicher, dass wir alles zwar irgendwo festgelegt haben, aber es gibt immer einen Weg daran vorbei. Wenn jemand wirklich, wirklich will. Oder man hat einen Fürsprecher in einer sehr hohen Position, dann gibt es da immer einen Weg. […] Das ist so bei jeder Stellenbesetzung.“ (FG1: 329-323)

Die angeführte Interviewpassage weist darauf hin, dass über informelle Wege der formalisierte Ablauf von Stellenbesetzungsverfahren umgangen werden kann und dies womöglich gängige Praxis im Wissenschaftsalltag nicht nur in technischen Disziplinen ist.

Einfluss und Bedeutung informeller Netzwerke

Wenn im Wissenschaftsalltag Beziehungen eine zentrale Bedeutung einnehmen, wie verhalten sich promovierte Ingenieurwissenschaftler*innen und Informatiker*innen dazu und welchen Einfluss haben solche informellen Beziehungen auf deren Karriereverläufe an Hochschulen oder in der Industrie? Ein Nachwuchswissenschaftler berichtet zum Beispiel, dass durch formale Netzwerke (u.a. Einstiegsseminare) zwar die Möglichkeit gegeben ist, erste Kontakte zu knüpfen, aber eben „die Leute nicht in Position [sind], so dass sie da großartig weiterhelfen könnten“ (P4: 366-368). Stattdessen gebe es „einmal im Monat […] eine Weinprobe“, bei der er „viele Leute aus den anderen Bereichen einfach mal kennengelernt [hat]“ (ebd.: 378-380). Eine befragte Professorin wendet sich ebenfalls von formal gegebenen Kontaktmöglichkeiten ab und sucht in informellen Beziehungen nach neuen Potenzialen. Diese können darin bestehen, dass bei einer Stellenbesetzung von einer öffentlichen Ausschreibung abgesehen und eine durch andere Kontexte vertraute Person ausgewählt wird. Gerechtfertigt wird ein solcher Prozess mit Bezug auf die besondere Passung. „Ich [lege] also schon Wert darauf, dass die Leute wirklich ins Team passen und warte auch etwas länger notfalls. Und daher kommt das im Prinzip auch, dass wir wenige Stellen ausschreiben, sondern möglichst auf Leute zurückgreifen, die wir kennen“ (G9: 173-177). Die aufgeführten Passagen weisen exemplarisch darauf hin, wie eng die Bedeutung informeller Netzwerke mit Karriereverläufen und -bedingungen verzahnt ist, insbesondere in Bezug auf die Möglichkeit, formalisierte Verfahren zu umgehen.

Gibt es Unterschiede beim Netzwerken?

In verschiedenen Studien wird thematisiert, dass vor allem Frauen bzw. Wissenschaftlerinnen mit Barrieren und Hürden konfrontiert werden, wenn es um den Zugang zu informellen Netzwerken geht (Kahlert 2013; Lind 2004; Leemann 2002). Wie werden Netzwerkpotenziale speziell in den Bereichen Ingenieurwissenschaften und Informatik in Karrierechancen umgesetzt und welchem Gender Bias unterliegen diese Prozesse? In einem Interview mit einer promovierten Wissenschaftlerin wird betont, dass zwar ein gutes Netzwerk verfügbar ist und „mit ganz vielen Leuten regelmäßig Mittagessen [ansteht] “, aber nicht unter dem Aspekt, es als „‘Hey, der könnte für mich wichtig sein. Den halte ich mir mal warm oder so‘“ (FG1: 350-357) zu nutzen. Im Vergleich dazu wird in einem weiteren Interview mit einem promovierten Wissenschaftler eine eher strategischere Herangehensweise bezüglich des Netzwerkens deutlich: „Wenn ich auf ´ner Tagung bin – und ich mein, man hat ein gewisses Netzwerk von Leuten, die ich schon länger kenne, mit denen man länger zu tun hat – ähm dass ich das auch irgendwie versuche zu forcieren mit irgendwem“ (P2: 405-409). Vor dem Hintergrund der sich im Material andeutenden geschlechterdifferenten Einstellungen zum Netzwerken, werden im Forschungsprojekt „GenderNetz“ Idealtypen auf der Grundlage von Netzwerkstrukturen, -praktiken und Einstellungen zum Netzwerken gebildet und auf ihre geschlechtertypischen Muster hin analysiert. Auf dieser Basis kann unter anderem die sich bereits im Material abzeichnende Verbindung zwischen männlich konnotierten strategischem Netzwerken und informeller Karriereförderung entlang homosozialer Passung weitergehend analysiert werden.

Weitere Informationen erhalten Sie auf unserer Website unter www.gendernetz.de.

Literatur

Gemeinsame Wissenschaftskonferenz (GWK) (2018). Chancengleichheit in Wissenschaft und Forschung. 22. Fortschreibung des Datenmaterials (2016/2017) zu Frauen in Hochschulen und außerhochschulischen Forschungseinrichtungen. Zugriff am 05.03.2019 unter https://www.gwk-bonn.de/fileadmin/Redaktion/Dokumente/Papers/22._FS_Frauenbericht_2018_Heft_60.pdf.

Gemeinsame Wissenschaftskonferenz (GWK) (2016). Chancengleichheit in Wissenschaft und Forschung. 20. Fortschreibung des Datenmaterials (2014/2015) zu Frauen in Hochschulen und außerhochschulischen Forschungseinrichtungen. Zugriff am 05.03.2019 unter https://www. gwk-bonn.de/fileadmin/Redaktion/Dokumente/Papers/GWK-Heft-50-Chancengleichheit.pdf.

Granovetter, Mark S. (1973). The Strength of Weak Ties. American Journal of Sociology, 78(6): 1360-1380. DOI: https://doi.org/10.1086/225469

Groll, Tina (2016). Klüngeln für die Karriere. Zeit Online, Zugriff am 12.03.2019 unter https://www.zeit.de/karriere/beruf/2017-02/netzwerken-karriere-vorteil-frauen.

Kahlert, Heike (2013). Riskante Karrieren: Wissenschaftlicher Nachwuchs im Spiegel der Forschung. Opladen, Berlin, Toronto: Verlag Barbara Budrich.

Leemann, Regula Julia (2002). Chancenungleichheiten im Wissenschaftssystem. Wie Geschlecht und soziale Herkunft Karrieren beeinflussen. Chur, Zürich: Verlag Rüegger.

Lind, Inken (2004). Aufstieg oder Ausstieg? Karrierewege von Wissenschaftlerinnen: Ein Forschungsüberblick (CEWS Beiträge Frauen in Wissenschaft und Forschung). USP Publishing.

Stebut von, Nina (2003). Eine Frage der Zeit? Zur Integration von Frauen in die Wissenschaft. Eine exemplarische Untersuchung der Max-Planck-Gesellschaft. Opladen: Leske und Budrich.

Yoder, Janice D. (1991). Rethinking Tokenism: Looking Beyond Numbers. Gender & Society, 5(2): 178–192. DOI: https://doi.org/10.1177/089124391005002003

Zitation: Jennifer Dahmen-Adkins, Anne Göttgens, Andrea Wolffram: „Es gibt da immer einen Weg“ – Genderbias durch Netzwerke in der Technik, in: blog interdisziplinäre geschlechterforschung, 09.04.2019, www.gender-blog.de/beitrag/netzwerke-in-der-technik/, DOI: https://doi.org/10.17185/gender/20190409

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Jennifer Dahmen-Adkins

Jennifer Dahmen-Adkins ist Sozialwissenschaftlerin und wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Technik und Organisation der RWTH Aachen University. Ihre Forschungsschwerpunkte liegen in der Hochschul- und Gleichstellungsforschung sowie im Bereich Gender und MINT, jeweils mit starken „Theory into Practice“ Bezügen.

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Anne Göttgens

Als wissenschaftliche Mitarbeiterin ist Anne Göttgens am Lehrstuhl für Technik- und Organisationssoziologie an der RWTH Aachen tätig. Ihre Forschungsinteressen liegen in den Bereichen Frauen- und Geschlechterforschung, Hochschulforschung sowie im Forschungsfeld soziale Ungleichheit.

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Dr. Andrea Wolffram

Gast.-Prof. Dr. phil. Andrea Wolffram ist Soziologin und Senior Researcher am Lehrstuhl für Technik- und Organisationsoziologie der RWTH Aachen University. Für den Zeitraum von Dezember 2018 bis Mai 2022 ist sie zudem Gastprofessorin mit Teildenomination Geschlechterforschung an der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg. Ihre Forschungsschwerpunkte liegen im Bereich der Gender Technology Studies u.a. zu Techniktheorie, Technisierung von Alltags- und Wissenskulturen.

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