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Forschung

Hegemonic Evocation – die (Wieder-)Herstellung männlicher Hegemonie durch die AfD

01. März 2022 Dennis Kolisch

Die Alternative für Deutschland (AfD) hat im Jahr 2020 mehrere Versuche unternommen, politische Gleichstellung und auch die Gender Studies zu ‚korrigieren‘ (vgl. z.B. Pressestelle des Bundestags 2020; Deutscher Bundestag 2020). Nicht nur versucht die rechtspopulistische Partei an vorderster Front Erkenntnisse der Sozialwissenschaften und der Gender Studies zu diskreditieren (vgl. Strohschneider 2017: 3), sie prägt auch den alltäglichen Diskurs und nimmt in negativer Weise Einfluss auf die praktisch-politischen Handlungsmöglichkeiten derjenigen Teile der Gesellschaft, die durch „männliche Hegemonie“ (Connell 2015) beeinträchtigt sind.

In meiner Bachelorarbeit habe ich mich mit der Frage beschäftigt, wie männliche Hegemonie von der AfD über konkrete Praktiken reproduziert wird.

Männliche Hegemonie und Diskurshoheit

Mithilfe des Hegemonie-Konzepts von Raewyn Connell lässt sich rekonstruieren, wie die AfD in ihrer politischen Praxis die Deutungslogik und -hoheit hegemonialer Männlichkeit anwendet und so versucht, die traditionelle Geschlechterordnung zu reetablieren und gleichzeitig den Gender Studies ihre Expertise abzusprechen.

Raewyn Connell versteht gesellschaftliche Hegemonie mit Antonio Gramsci als soziale Prozesse, die gewaltfrei, aber dennoch zwingend wirken (Connell 2015: 130). Akteure, die die Diskurshoheit besitzen, sind danach in der Lage, zu bestimmen, was gesagt werden kann und was nicht, und so gesellschaftlich anerkannte Realität maßgeblich zu gestalten: Was ist ‚logisch‘ oder wird als ‚natürliche Gegebenheit‘ angenommen (vgl. z.B. Paulitz 2012)? Verliert die hegemoniale Sichtweise ihre Legitimation, werden die Akteure, die von dieser Sichtweise profitiert haben, weiterhin versuchen, die Deutung der Realität in ihrem Sinne zu beeinflussen. Connell geht davon aus, dass Hegemonie ein steter Aushandlungsprozess ist, und dass Männlichkeit heute in einer Legitimationskrise steckt (Connell 2015: 130f.).

Vier Kräfte hegemonialer Männlichkeit

Raewyn Connells Theorie hegemonialer Männlichkeit wurde von ihr entworfen, um den ‚patriarchalen Block‘, von dem bis dahin ausgegangen wurde, zu zerlegen. Es ging ihr darum, klarer zu zeigen, wie die inneren Beziehungskräfte zwischen Männern und in Verbindung mit der Gesellschaft wirken (vgl. Connell 2015: 12). Analytisch lassen sich diese Kräfte auf vier Punkte herunterbrechen: Hegemonie, Unterordnung, Komplizenschaft und Marginalisierung.

An konkreten Beispielen wird im Folgenden gezeigt, wie diese Kräfte sich auswirken und wie die Argumentationslogik der AfD sie anwendet. Die Beispiele sind auf zwei Ebenen angesiedelt: auf einer übergeordneten, wie im Parteiprogramm oder in Gesetzesanträgen, die die ‚ideologische Marschrichtung‘ der AfD aufdecken, und auf einer kleinteiligeren – z.B. in Reden und Positionspapieren einzelner Akteure, um auch die praktische Umsetzung im politischen Alltag zeigen zu können.

Hegemonie

Konkrete Beispiele für hegemoniale Praktiken zur Wiederherstellung der alten Ordnung sind die Versuche der AfD, den Gender Studies ihre wissenschaftlichen Grundlagen abzusprechen (vgl. AfD 2021: 154), oder in ihren eigenen Worten, die „Wissenschaft von der Ideologie zu befreien“ (Deutscher Bundetag 2020: o. S.). Hierzu genügen ihr durchaus inhaltslose, polemische Argumentationen:

„Der Gesetzentwurf gilt ausdrücklich auch für Asylbewerber, die jetzt zu Asylbewerberinnen werden können. So können dann junge Syrer, Afghanen und Somalis diskriminierungsfrei am Frauenschwimmen teilnehmen. Ein Wunder der Integration!“ (Storch 2020: o. S.)

Oder: „Wer behauptet, es gebe kein biologisches Geschlecht, der kann sich auch mit der 1956 gegründeten Flat-Earth-Society zusammentun: Die behaupten, die Erde sei eine Scheibe.“ (Storch 2020: o. S.)

Es lässt sich an verschiedenen Stellen nachweisen, dass die AfD so ganz konkret versucht, zu beeinflussen, was als Realität akzeptiert werden soll und dabei an den ‚gesunden Menschenverstand‘ appelliert: Geschlechterverhältnisse sind natürlich und nicht konstruiert! Wie Chantal Mouffe herausstellt, wird „soziale Objektivität durch Machtakte“ (Mouffe 2018: 101) konstituiert. Die AfD erhebt den Anspruch, Realität im allgemeinen Sinne richtig zu deuten und ‚löst‘ auf diese Weise das Legitimationsproblem der herrschenden Klasse (in diesem Falle der Männlichkeit), da eine Kritik an der vorherrschenden Ordnung unmöglich gemacht wird: Der Geschlechterforschung wird kurzerhand die Wissenschaftlichkeit abgesprochen, wodurch Kritik an Geschlechterungleichheiten ebenfalls hinfällig wird (vgl. Villa et al. 2019).

Unterordnung

Die AfD proklamiert die Natürlichkeit der Geschlechter (vgl. AfD 2021: 115) und bestreitet andere Geschlechtsidentitäten (vgl. Storch 2020). Gleichzeitig werden die Bedürfnisse und Anforderungen, die an die Gleichstellung pluralistischer Lebensmodelle gestellt werden, ignoriert und eine (ökonomische) Besserstellung traditioneller Familien soll verfolgt werden (vgl. AfD 2021: 106ff.). Zum Beispiel soll die sogenannte „Lastengerechtigkeit“ (AfD 2021: 106) eine Rentensicherheitfür Eltern mit eigenen Kindern staatlich garantieren. Ebenso soll ein von der AfD vorgeschlagener „Ehe-Kredit“ (AfD 2021: 107f.) mit der Geburt eigener Kinder reduziert werden oder Studierenden der BAföG-Kredit erlassen werden, wenn sie Kinder kriegen und erfolgreich abschließen (vgl. AfD 2021: 108). Der starke Fokus auf eigene Kinder läuft auf die ‚traditionelle‘ Definition von „Vater, Mutter und Kindern“ (AfD 2021: 104) heraus.

Das sind Unterordnungen alternativer Lebensführungen qua handfester Praktiken (vgl. Connell 2015: 132). Indem sie diese zur Umsetzung vorschlägt, fördert die AfD traditionelle und ausschließende Sichtweisen.

Komplizenschaft

Die Familienpolitik der AfD kümmert sich vorgeblich um die Bedürfnisse gesellschaftlich Benachteiligter, z.B. Frauen, die sich für die klassische Mutterrolle entscheiden (vgl. AfD 2021: 115), oder Alleinerziehende (vgl. AfD 2021: 112). Damit verbucht die AfD eine „patriarchale Dividende“ (Connell 2015: 133), den Gewinn aus der Vormachtstellung der Männer, für sich. Die Partei holt so Frauen und Mütter in einer vorgeblichen Komplizenschaft ‚mit ins Boot‘, ohne sich direkt in den Fokus feministischer Kritik zu begeben. Die mit der klassischen Rollenverteilung verbundenen sozialen Ungleichheiten, wie der Gender-Pay-Gap oder die Ungleichverteilung von unbezahlter Fürsorgearbeit, werden schlicht ignoriert.

Marginalisierung

Alice Weidel ist eine der prominentesten Politiker*innen der AfD. Nach ihrem ‚Coming-out‘ 2017 (vgl. Wielowiejski 2021) pflegte sie einen offensiven Umgang mit ihrer sexuellen Orientierung, die von weiten Teilen der Partei (vgl. AfD Hessen 2018: 32) abgelehnt wird. Weiterführend ‚verschob‘ Weidel die Deutung ihrer homosexuellen Partnerschaft von ‚anormal‘ zu ‚normal’, indem sie die ‚Rolle des Vaters‘ als von einer Frau erfüllbar und diese Praxis auch als notwendig darstellte (vgl. Wielowiejski 2021). Darin zeigt sich eine Marginalisierung homosexueller wie auch einer Vielzahl anderer queerer Lebensentwürfe, da diese die ‚unentbehrlichen‘ Anforderungen nicht erfüllen können bzw. vielfach auch nicht wollen.

Erst diese Marginalisierung nichtheteronormativer Beziehungen lässt Alice Weidel und ihre Partnerin in den ‚normalen‘ Rahmen fallen. Folglich können ‚andere‘ sexuelle Identitäten nicht davon profitieren, dass eine Person homosexueller Orientierung Erfolge für sich (und die AfD) verbuchen kann.

Folgerung für den Umgang mit der ideologischen Ausrichtung der AfD

Die Vorteile einer Analyse der ‚innerargumentativen Logik‘ der AfD mithilfe von Connells Theorie hegemonialer Männlichkeit lassen sich in zwei Punkten fassen:

Erstens erlaubt die differenzierte Perspektive, die Eigenschaften männlicher Hegemonie wie auch den Versuch ihrer Wahrung und Legitimation herauszuarbeiten. Es kann aufgezeigt werden, dass die AfD traditionelle Sichtweisen der Familie (Vater, Mutter, Kind) propagiert, die zentral für die bestehende Geschlechterungleichheit sind. Gleichzeitig werden alternative Lebensentwürfe marginalisiert, untergeordnet und/oder diskriminiert (indem ihre Existenz als ‚falsch‘ angesehen wird). Zweitens kann die angewandte Hegemonie herausgearbeitet werden, mit der die AfD-Politiker*innen versuchen, die Diskurshoheit zu gewinnen, indem sie die Deutung der Realität für sich beanspruchen. Dies wollen sie erreichen, indem sie kritischen Stimmen die Legitimität und z.B. den Gender Studies die Wissenschaftlichkeit absprechen.

Aus einer pluralistischen Gleichstellungsperspektive kann so eine Ablehnung der Ideologie der AfD und deren politischer Praxis genau formuliert und es kann aufgezeigt werden, wie vordergründig ‚neutrale‘ Positionen daran mitarbeiten, gesellschaftliche Emanzipationsbewegungen und demokratische Prinzipien zu demontieren.

Literatur

Connell, Raewyn (2015): Der gemachte Mann. Konstruktion und Krise von Männlichkeiten (4. Aufl.). Wiesbaden: Springer VS. https://doi.org/10.1007/978-3-531-19973-3

Mouffe, Chantal (2018): Das demokratische Paradox. Wien, Berlin: Turia + Kant.

Paulitz, Tanja (2012): ‚Hegemoniale Männlichkeiten‘ als narrative Distinktionspraxis im Wissenschaftsspiel. Wissenschaftssoziologische Perspektiven auf historische technikwissenschaftliche Erzählungen. Österreichische Zeitschrift für Soziologie, 37(1): 45–64. https://doi.org/10.1007/s11614-012-0013-y

Strohschneider, Peter (2017): Über Wissenschaft in Zeiten des Populismus. Rede von DFG-Präsident Prof. Dr. Peter Strohschneider anlässlich der Festveranstaltung im Rahmen der Jahresversammlung 2017 der DFG, Halle an der Saale, Festsaal der Leopoldina, 4. Juli 2017. Dokumentation in: Forschung. Das Magazin der Deutschen Forschungsgemeinschaft, 3/2017, S. II–VIII. https://doi.org/10.1002/fors.201770312

Villa, Paula-Irene; Frisch, Katrin; Klein, Isabel; Schmincke, Imke & Siri, Jasmin (2019): Many Shades of Gender – Ein FAQ zu den Gender Studies. Zugriff am 28.02.2022 unter https://www.gender.soziologie.uni-muenchen.de/shades-of-gender/index.html.

Wielowiejski, Patrick (2021): Deutsche Normalität: Rechte und Homosexuelle in der AfD. blog interdisziplinäre geschlechterforschung, 06.10.2021. Zugriff am 28.02.2022 unter www.gender-blog.de/beitrag/rechte-homosexuelle-afd/. https://doi.org/10.17185/gender/20211006

Quellen

Afd (2021): Deutschland. Aber normal. Programm der Alternative für Deutschland für die Wahl zum 20. Deutschen Bundestag. Zugriff am 26.11.2021 unter https://cdn.afd.tools/wp-content/uploads/sites/111/2021/06/20210601_AfD_Programm_2021_ONLINE.pdf.

Afd Hessen (2018): Hessen. Aber sicher! Wahlprogramm Landtagswahl Hessen 2018. Zugriff am 26.11.2021 unter https://www.afd-hessen.de/landtagswahl-2018/.

Deutscher Bundestag (2020): Basisinformationen des Vorganges: Wissenschaft von der Ideologie befreien – Förderung der Gender-Forschung beenden. Zugriff am 26.11.2021 unter http://dipbt.bundestag.de/extrakt/ba/WP19/2714/271465.html.

Pressestelle des Bundestags (2020): AfD fordert Kurskorrektur bei Gleichstellung. Familie, Senioren, Frauen und Jugend/Antrag, 18.09.2020 (hib 980/2020). Zugriff am 26.11.2021 unter https://www.bundestag.de/presse/hib/793516-793516.

Storch, Beatrix von (2020): Grünes Gender-Gaga-Gesetz ignoriert biologische Realität. Zugriff am 26.11.2021 unter https://www.afd.de/beatrix-von-storch-gruenes-gender-gaga-gesetz-ignoriert-biologische-realitaet/.

Weidel, Alice (2019): Die sogenannte „gendergerechte“ Sprache ist ein Orwell- Projekt. Zugriff am 26.11.2021 unter https://www.afd.de/alice-weidel-die-sogenannte-gendergerechte-sprache-ist-ein-orwell-projekt/.

Zitation: Dennis Kolisch: Hegemonic Evocation – die (Wieder-)Herstellung männlicher Hegemonie durch die AfD, in: blog interdisziplinäre geschlechterforschung, 01.03.2022, www.gender-blog.de/beitrag/hegemonic-evocation-afd/, DOI: https://doi.org/10.17185/gender/20220301

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Dennis Kolisch

Dennis Kolisch studiert zurzeit den Masterstudiengang Gender Studies „Interdisziplinäre Forschung und Anwendung“ an der Universität Bielefeld, an der er auch seinen Bachelorabschluss in den Politikwissenschaften absolvierte. Seine Interessengebiete liegen an den Schnittstellen soziale Ungleichheiten, Geschlechtersoziologie und deren politische Verknüpfungen.

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Kommentare

Heike Mauer | 03.03.2022

Die Auseinandersetzung mit rechtspopulistischen und autoritären Formen von Männlichkeiten ist ein dringliches Thema und ein wichtiger Forschungsgegenstand.

Dennoch lässt mich der Blogbeitrag etwas ratlos zurück, denn er scheint nicht einzulösen, was er verspricht. Denn wie sich die unterschiedlichen Formen von Männlichkeiten nach Cornell in rechtspopulistischen Diskursen und speziell innerhalb der AfD konkret artikulieren, bleibt weitgehend ungewiss. Zudem wird – etwa wenn es um Komplizenschaft und patriarchale Dividende geht – der Fokus von unterschiedlichen Männlichkeiten erneut auf das Verhältnis zwischen Frauen und Männern verschoben. Dabei wäre es spannend gewesen, herauszuarbeiten, welche Formen (militarisierter?) Männlichkeit in der AfD hegemonial werden und wie mittels Differenzen und Abwertungen anderer Formen von und insbesondere marginalisierte Männlichkeiten konstruiert werden. Welche Rolle spielen hierbei etwa Gewalt und Selbstbeherrschung, Religion, Sexualität oder rassifizierte Formen von Zugehörigkeit?

Ebenso spannend wäre es gewesen, die Frage zu diskutieren, in welchem Verhältnis die Angriffe der AfD auf die Geschlechterforschung zu rechtspopulistischen Männlichkeitskonstruktionen stehen. Doch leider werden auch hier die Thesen des Blogbeitrags, bspw. zum Unwissenschaftlichkeitsvorwurf an die Geschlechterforschung eher proklamiert als empirisch nachgezeichnet.

 

Dennis Kolisch | 03.03.2022

Sehr geehrte Heike Mauer,

vielen Dank für den Kommentar. Bezugnehmend darauf möchte ich einige Unklarheiten beleuchten, die das Verständnis schwierig machen können.

Die Theorie von Connell wird hier so verstanden, dass sie sich in einem klar postmodernen Gedanken auf die ‚Beziehungen‘ zwischen Männern* und zu der sie-umgebenden-Gesellschaft bezieht. Im Sinne einer ‚doing-masculinity‘ braucht es keine ‚starre‘ Definition von Männlichkeits-Konstrukten, sondern ihre alltägliche Aushandlung, gerade in Beziehungsform. Das führt bereits zu dem zweiten Punkt. Der Fokus muss nicht ausschließlich auf Männlichkeit* liegen, sondern braucht zur Verständnisfüllung ebenso die Ausarbeitung zu anderen Geschlechtern (Stichpunkt Komplizenschaft und patriarchale Dividende).

Der Fokus liegt hier zudem auf einer mesotheoretischen Ebene, der Wiederherstellung männlicher Hegemonie und nicht von makrotheoretischen Männlichkeitsbildern.

Ich stimme Ihnen zu, dass viele Aspekte dieses Themas spannend sind und genauere Beleuchtung brauchen. Doch weder ist die Ursprungsausarbeitung geeignet einen (vollständigen?) großflächigen Überblick zu geben noch dieser Blog-Beitrag, der schlicht Anstoß für Forschungsinteressen sein soll. Aus diesem Grund wirken die empirischen Nachweise vielleicht auch eher proklamiert.

Mit freundlichen Grüßen

Dennis Kolisch

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